Das afro-peruanische Erbe in Chincha und El Carmen

Bevor ich von den Anden wieder zurück an die Küste nach Lima fuhr, legte ich noch einen Zwischenstopp in Chincha ein. Chincha ist eine relativ nichtssagende Küstenstadt mit etwa 194.000 Einwohnern, die nördlich von Nazca liegt, wo Ly und ich am Anfang unserer Perureise einen Rundflug über die Nazca-Linien unternommen hatten. Ja, fast nichtssagend, wenn da nicht dieses eine interessante Detail gewesen wäre: Chincha ist die Hochburg der afro-peruanischen Kultur. Afro-Peruaner, also Peruaner mit afrikanischen Wurzeln, deren Vorfahren als Sklaven nach Peru gekommen waren, machen zusammen mit asiatischstämmigen (z. B. japanischstämmigen) und anderen Immigranten nur etwa 3 % der Gesamtbevölkerung (30,4 Mio.) aus. In Chincha ist dieser afrikanische Einfluss an jeder Ecke zu sehen: Restaurantschilder mit Schwarzen drauf, die für kreolisches Essen (comida criolla) werben, schwarze Puppen, die als Souvenirs verkauft werden, ein Denkmal für eine afro-peruanische Musikband mit dem typischen Cajón-Spieler (cajón = eigentlich span. für Kiste, Schublade, hier: Kistentrommel), etc. Und natürlich sieht man auch mehr schwarze Peruaner in der Straße als sonst an den Orten, wo ich bisher in Peru gewesen war.

Vom Zentrum Chinchas nahm ich einen Minibus und fuhr in das etwas außerhalb liegende Dörfchen El Carmen, wo einen bereits am Eingangsbogen an der Abbiegung von der Hauptstraße Wandmalereien mit bekannten afro-peruanischen Persönlichkeiten begrüßten. Ich ließ mich an der Casa-Hacienda San José absetzten, eine ehemalige Sklavenplantage, deren Hazienda heute zu einem Hotel umgebaut worden ist. Dort konnte ich eine interessante, aber leider viel zu kurze Führung durch die ehemaligen Wohnräume der spanischen Hazienda-Besitzer, die barocke Kapelle und die Katakomben machen, in denen die Sklaven manchmal zur Bestrafung in völliger Dunkelheit eingesperrt worden waren. Die zwischenzeitlich bis zu 1.000 Sklaven hatten auf den Zuckerrohr- und später auch Baumwollplantagen schuften müssen. Obwohl 1854 die Sklaverei in Peru abgeschafft worden war, arbeiteten viele der Sklaven weiterhin auf den Plantagen, was mich an die Geschichte Sansibars erinnerte, wo auch weiterhin Handel mit Sklaven getrieben wurde, obwohl die Sklaverei offiziell 1875 abgeschafft worden war. Die meisten der Sklaven, die nach Peru gebracht worden, stammten übrigens aus Westafrika. Oftmals waren sie erst bis Kuba, Hispaniola, Mexiko (Veracruz) oder Kolumbien (Cartagena de Indias) transportiert worden bevor man sie weiter nach Panama oder Peru verteilte.

Nach dieser kurzen Stippvisite in Chincha fuhr ich schließlich mit dem Bus weiter nach Lima, wo ich meine Perureise, zumindest für dieses Mal, mit einem Weiterflug nach New York beenden würde. Ich werde auf jeden Fall wiederkommen; bietet das Land in seinen immensen Dimensionen doch so viel, was man lernen und was man sich anschauen kann! In diesem Sinne: ¡Adiós, Perú!

Arequipa, die zweitgrößte peruanische Stadt am Fuße des El Misti

Das erste, was uns bei der morgendlichen Ankunft in Arequipa mit dem Nachtbus aus Nazca kommend auffiel, war der riesige Berg, an dessen Fuße Arequipa liegt: Der Vulkan El Misti, stolze 5.825 m hoch (also minimal kleiner als der Kilimanjaro), wobei Arequipa selbst bereits auf einer Höhe von 2.350 m liegt. Die Stadt wirkt um einiges gemütlicher als Lima und weist gerade mal ein Zehntel der Einwohner der Hauptstadt (9,8 Mio. vs. etwa 970.000) auf. Wir hatten Glück einen Couchsurfing-Platz bei Giannina, genannt Gia, im schicken Bonzenviertel Yanahuara bekommen zu haben. Sie wohnte allein im riesigen, zweistöckigen Haus ihrer Eltern und wir erhielten nicht nur ein eigenes Schlafzimmer, sondern am ersten Abend auch ein köstliches, von Gia gekochtes Abendessen: Lomo Saltado, eine DER peruanischen Spezialitäten, die aus geschnetzeltem Rinderfleisch, Zwiebeln, Tomaten und Kartoffeln in Rotwein-Essig-Sauce und als Beilage Reise besteht. Mmh, sehr zu empfehlen!

In die Innenstadt liefen wir von Gias Haus zu Fuß aus, auch wenn uns wahrscheinlich jeder Peruaner für verrückt erklärt hätte. Nach der enormen Taxidichte zu schließen, lief hier keiner gerne zu Fuß, auch wenn es abends, natürlich in geringerem Ausmaß als in Lima, in der Innenstadt zum Verkehrschaos kam. Wahrscheinlich fuhren aber auch deshalb so viele Taxis herum, weil es immer noch ein recht lukrativer Job ist, auch wenn der Bildungsgrad der meisten Fahrer sie womöglich zu besseren Jobs befähigen würde. Die offizielle Arbeitslosenquote von 7,6% für ganz Peru wird wohl eine viel höhere Dunkelziffer haben…

Das erste, was wir in Arequipa besichtigten, war das beeindruckende Kloster „Monasterio de Santa Catalina„. Mit seinen etwa 20.000 m² wirkt es, wie mein „Lonely Planet“ ganz richtig schreibt, wie eine Stadt in der Stadt, in der man sich leicht verirren kann. Wir waren aber am Eingang mit einem guten Übersichtsplan ausgestattet worden und wanderten über zwei Stunden durch die Gassen und Räumlichkeiten des Klosters. Die wahlweise lehmroten und blauen Wände erinnerten mich in ihrer Farbenfreudigkeit an Marokko, insbesondere das Blau ließ mich an die nordmarokkanische Stadt Chefchaouen denken. Das Kloster war 1580 von der reichen Witwe María de Guzmán als Nonnenkloster gegründet worden. Reiche Familien gaben dort ihre Töchter ab, die dann vier Jahre lang unter Schweigepflicht als Novizinnen das Klosterleben testeten und nach dieser Zeit entscheiden mussten, ob sie weiterhin im Kloster leben (eine Ehre für die Familie) oder ob sie das Kloster wieder verlassen (eine Schande für die Familie) wollten. Aktuell leben in dem Kloster noch 20 Nonnen. Couchsurferin Gia erzählte uns, dass man vor nicht allzu langer Zeit vergrabene Embryoleichen im Klostergelände entdeckt hatte und wohl auch sonst nicht alles ganz koscher im Klosterleben zugehen musste… Weitere Kuriosität: In einem Raum des Klosters hängen Porträts aller bisher gestorbenen Nonnen. Der Maler hatte nach dem Tod einer Nonne genau 24 Stunden, um sie zu malen. Sie zu ihren Lebzeiten zu malen, war und ist hingegen verboten.

Zweite Station nach einer obligatorischen Kaffee- und Kuchenpause war das Reisebüro von „Pablo Tour„, bei denen wir für die nächsten drei Tage eine Colca-Canyon-Tour gebucht hatten und von der ich in meinem nächsten Blogbeitrag berichten werde. Nach der Tour kehrten wir für einen weiteren Tag, dem Feiertag zu Ehren der Schutzheiligen der Polizei, nach Arequipa zurück und klapperten weitere Teile der Innenstadt ab. Vor allem aber ließen wir unsere vom Canyon wahnsinnig staubigen Schuhe ganz stilvoll von einem der Schuhputzer am zentralen Plaza de Armas putzen. Und am Aussichtspunkt von Yanahuara mussten wir eine weitere Spezialität Arequipas testen, Queso helado, also quasi „Eiskäse“, eine kalte frischkäseartige, sehr süße Masse. Naja, probiert und abgehakt!

Dresden-Nazca-Connection

„Nasca ist das Land des ewigen Sonnenscheins und ich sehe vor mir schon die weiten Horizonte der Pampa, die sich braunrot in der Sommersonne ausbreitet, einsam und geheimnisvoll, ohne eine Spur von tierischem oder pflanzlichem Leben, geschweige denn Menschen. Für viele ist es zu öde und verlassen, für mich ist es mein Land, und ich fühle mich eins mit dem weiten Himmel, dem dunklen steinigen Boden, der weiten Ebene, auf der ein Mensch sich verliert wie ein kleiner unsichtbarer Punkt in der Ferne. Ich spüre bei der Arbeit nicht Hunger und Durst und älter werden.“ Ein Zitat der deutschen Nazca-Linien-Forscherin Maria Reiche, das die Landschaft rund um Nazca, eine 23.000-Einwohner-Stadt etwa 450 km südlich von Lima gelegen, sehr treffend beschreibt. Den Namen Nazca verbindet man eigentlich immer nur mit den Nazca-Linien und tatsächlich, die Stadt an sich ist recht uninteressant, wenn man mal von den leckeren Fruchtsäften und Nachtischen absieht, die wir dort zu uns nahmen. 😉

So hatten Ly und ich für Donnerstagvormittag (25. August) über unser Hostel einen obligatorischen Rundflug über die Nazca-Linien gebucht. Wir wurden von einem Touristenbus direkt am Hostel eingesammelt und zum winzigen Flughafen von Nazca gebracht, wo der Check-In sehr schnell vonstattenging. Nur der Start ließ ewig auf sich warten. Nun ja, genug Zeit, um sich den Dokumentarfilm in „Indiana-Jones-Manier“ über die Geschichte der Nazca-Linien anzuschauen, deren Ursprung und Zweck bis heute nicht eindeutig geklärt sind. Es gibt Theorien darüber, dass die Linien (Geoglyphen = „Scharrbilder“) Teil eines astronomischen Kalenders, Wege zwischen religiösen Kultstätten oder dass die Linien selbst in Rituale eines präkolumbianischen Fruchtbarkeits- oder Wasserkults eingebunden gewesen seien. How ever, nun wurde es ernst und Ly und ich, sowie weitere vier Passagiere begaben uns zu dem kleinen Flugzeug, das uns gleich mit auf einen rund 30 minütigen Rundflug über die mysteriösen Nazca-Linien nehmen sollte. Der Pilot riet uns immer schön den Horizont im Blick zu behalten, denn wir würden die im Sand sichtbaren Figuren stets einmal links und einmal rechts herum umfliegen, damit jeder etwas sehen könne. Manchmal war es etwas schwierig die konkreten Figuren (z. B. Kolibri, Affe, Astronaut, Papagei) überhaupt zu erkennen, dafür sah man aber überall die schnurgeraden Linien, die die Wüstenlandschaft surreal durchkreuzten und die selbst wiederum durch die schnurgerade Straße der „Panamericana Sur“ durchschnitten wurden. Als wir wieder gelandet waren und festen Boden unter den Füßen hatten, war Ly die Freude darüber echt ins Gesicht geschrieben. Ihr Magen hatte den Ausflug im Gegensatz zu meinem wohl nicht so toll gefunden, was wohl auch daran gelegen haben muss, dass ich an diesem Tag auf Anraten des Hostelrezeptionisten auf ein Frühstück verzichtet hatte.

Und woher kommt nun die Dresden-Nazca-Verbindung wie im Titel dieses Blogeintrags steht? Ganz einfach: Die deutsche Forscherin Maria Reiche, die die Nazca-Linien Zeit ihres Lebens erforschte, war 1903 in Dresden geboren worden, wo sie später Mathematik, Physik und Geographie studierte. 1932 verschlug es sie als Hauslehrerin des Deutschen Konsuls nach Cuzco, Peru, und ab 1946 arbeitete sie an der Erforschung der Nazca-Linien, von denen sie durch einen US-amerikanischen Kollegen gehört hatte. Sie zog in eine kleine Hütte nicht unweit der Linien, die man heute als Museum besichtigen kann. Bis zu ihrem Tod im Alter von 95 Jahren in Lima hatte sie zahlreiche deutsche und peruanische Auszeichnungen und schließlich sogar die peruanische Staatsbürgerschaft erhalten. Heute gibt es in Dresden eine „Maria-Reiche-Straße“ und einen Verein, den „Dr. Maria Reiche – Linien und Figuren der Nasca-Kultur in Peru e.V.“, der sich für den Erhalt der Nazca-Linien einsetzt und schon ein paar interessante Aktionen durchgeführt hat. Wieder was gelernt – über die Heimat in der Ferne! 🙂