100 Jahre Einsamkeit? Oder: Wie der absurde Ausnahmezustand zum normalen Dauerzustand wird

Auch für den Titel meines zweiten Blogeintrags zum allgegenwärtigen C-Thema bemühe ich wieder Gabriel García Márquez, denn wie „100 Jahre Einsamkeit“ fühlt es sich langsam wirklich an. Wobei man ja zwischen „einsam“ und „allein“ unterscheiden muss. Das ZEIT Magazin vor zwei Wochen wählte den schönen, passenden Titel zu den gegenwärtigen Maßnahmen: „Nie war es so wichtig, gemeinsam allein zu sein.“

Seit meinem letzten Eintrag vor etwa zwei Wochen ist Einiges geschehen und so möchte ich hier wieder meine Beobachtungen und Gedanken teilen:

Die Ruhe vor dem Sturm vs. Sturmflut

Hatte sich in den ersten Tagen nach Schließung aller Kultureinrichtungen und nicht überlebensnotwendiger Geschäfte und der Verlagerung meiner Arbeit ins Homeoffice noch eine tiefe Gelassenheit ob des fehlenden Zeit- und Termindrucks breitgemacht, hat sich das Blatt nun mittlerweile um 180° gewendet – zumindest im beruflichen Kontext: Wir erfahren eine regelrechte „Sturmflut“ an Anfragen bezüglich unserer Onlinelernplattform, auf die wir nun auch versuchen, Online-Lerninhalte zum Thema Corona bereitzustellen. Manchmal bin ich schon mittags von den vielen Videokonferenzen völlig erschöpft und merke, mit wie viel mehr Kommunikationsaufwand die reine Onlinekommunikation verbunden ist. In täglichen virtuellen Stand-Up-Meetings mit meinem Team berichtet jede*r, an was er gerade arbeitet und wo er oder sie noch Hilfe benötigt. (Das nennt man auch „Working out loud“-Prinzip, d. h. man „arbeitet laut heraus“.) Eigentlich eine sehr gute Methode, durch die ich mich besser und strukturierter informiert fühle, wie als wenn wir alle in Präsenz im Büro wären. (Da gibt es nämlich nur einmal wöchentlich ein Teammeeting.) Aber wie gesagt, der Abstimmungsaufwand ist enorm und ich freue mich bald schon wieder auf Teammeetings „live und in Farbe vor Ort“.

Never Ending Story

Doch mit den Videokonferenzen auf Arbeit ist es nicht getan: Auch bei Gesprächen mit vielen Freunden, bei „Social Events“ mit meinen Kollegen oder bei kulturellen Inputs führt momentan kaum ein Weg an der Videokonferenz vorbei. So habe ich mit anderen relativ neuen Kollegen zusammen schon einen virtuellen Einstand organisiert und war heute bei einem virtuellen Ausstand einer Kollegin eingeladen. Mit Freunden zusammen habe ich schon virtuell Wein getrunken, virtuell zu Abend gegessen und virtuelle Wohnungsbesichtigungen vorgenommen. Letzte Woche nahm ich an einer ersten virtuellen Vortragsreihe der Reiseagentur alsharq teil, bei der Partner*innen vor Ort zur Coronalage in Israel und Palästina berichteten. Die Veranstaltung wurde gleichzeitig über „Zoom“ (haben leider massive Datenschutzprobleme!) und über einen Facebook-Livestream (Datenschutz, was ist das? 😉) verbreitet und hat mir mal eine andere Sicht auf die Lage vermittelt – z. B. wurde berichtet, dass sich Corona in vielen ultraorthodoxen jüdischen Gemeinden in Israel besonders stark ausbreitet, weil diese sich aus religiösen Gründen nicht an das „Physical Distancing“ (so heißt das jetzt korrekt 😉) halten wollen). Dieser Spiegel-Online-Artikel vom 3. April 2020 beschreibt die Lage vor Ort: Der Messias gegen Covid-19.

Noch ein kulturelles Schmankerl zum Schluss: Der Pianist Igor Levit streamt jeden Abend um 19 Uhr über Twitter ein Klavierkonzert aus seinem Wohnzimmer. Am 4. April 2020 wurde es etwas formeller, denn an diesem Abend hatte ihn Bundespräsident Steinmeier ins Schloss Bellevue zum Livekonzert (natürlich mit Sicherheitsabstand) eingeladen, um somit auf die prekäre Lage von Künstlern in dieser Zeit aufmerksam zu machen.

Nachrichtenwellen

Für mich als Medienwissenschaftlerin sind natürlich auch das „Agenda Setting“, also die „Nachrichtenwellen“ dieser Tage (um ein weiteres maritimes Bild zu verwenden), sehr interessant. Waren es am Anfang noch Jugendliche, die wegen so genannter „Coronaparties“ am Pranger standen (niemand schrieb hingegen über die vielen älteren Menschen, die immer noch zu Hauf einkaufen gehen), so gingen die Medien danach dazu über, v. a. über die fatalen wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise zu berichten. Nachdem dann über mögliche Exit-Strategien nachgedacht wurde, hat nun die „Maskenpflicht“ Hochkonjunktur. Meine alte Unistadt Jena ist hier vorgeprescht und hat die Maskenpflicht in Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr seit dem 6. April 2020 eingeführt. Wie sinnvoll es ist, die Maskenpflicht deutschlandweit in einer einzigen Stadt einzuführen, ist fraglich, aber gut, immerhin ein Tropfen auf den heißen Stein. In Zeiten von Corona offenbart sich die deutsche Kleinstaaterei wieder einmal in ihrer ganzen Bandbreite – mit Einzellösungen der Bundesländer, der Städte und sogar einzelner Stadtbezirke – typisch Berlin: in Mitte waren bis vor Kurzem alle Spielplätze gesperrt, im angrenzenden Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hingegen nicht.

Wie auf Kuba: Schlange stehen beim Einkaufen

Mittlerweile habe ich mich an diesen Anblick gewöhnt: Menschenschlangen vor den Geschäften und Marktständen. Jede*r hält ca. 1,5 m Abstand zum Vordermann; der Einlass wird durch einen Sicherheitsdienst geregelt. Kommt ein Kunde raus, darf ein anderer rein. Kuba-Déjà-Vu, nur, dass man weniger wegen zu knapper Güter Schlange steht (außer vielleicht Klopapier 😉), sondern vielmehr aus gegenseitiger Rücksichtnahme. Als ich einmal bei meinem türkischen Bäcker des Vertrauens in der Bonner Altstadt Brot kaufen wollte und die ungeordnete Schlange davor sah, war das Kuba-Feeling fast perfekt, als ein neu hinzugekommener Kunde fragte „Wer ist der Letzte?“ (siehe mein Blogeintrag „Havanna! – Start meiner Offline-Ferien in Kuba“).

In meiner Heimatstadt Dresden werden übrigens sogar die Einkaufswagen desinfiziert bevor sie der nächste Kunde benutzen darf! Das habe ich hier in Bonn noch nie beobachtet!

Vor zwei Wochen wagte ich mich Samstagnachmittag noch einmal in die Bonner Innenstadt. Eigentlich eine rammelvolle Einkaufsmeile zur Haupteinkaufszeit, aber diesmal, das Gefühl, an einem Sonntag durch die Innenstadt zu laufen, nur, dass eben Samstagnachmittag war. An allen Geschäften hingen selbstverfasste Hinweiszettel zur vorübergehenden Schließung des Geschäfts – mal emotional-traurig, mal humorvoll, mal geschäftstüchtig mit Hinweis auf den Onlineshop und Lieferservice. Aber trotzdem: irgendwie ein deprimierender Anblick.

Solidarität leben

Mittlerweile kann ich mich auch ein bisschen für meine Umgebung nützlich machen und bin über eine Facebookgruppe, die sich „Corona Hilfe Bonn“ nennt, auf diese zwei Privatinitiativen gestoßen: Da fast alle sozialen Einrichtungen und „Tafeln“ in Bonn geschlossen sind, gibt es die private Initiative von Jörn Sloot, der sich fast jeden Tag in der Nähe des Hauptbahnhofs mit seinem Lieferauto hinstellt und Essen an Obdachlose verteilt. Ich habe ihm auch schon Essensspenden vorbeigebracht und teile hier mal den Flyer für alle in Bonn Wohnenden:

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Des Weiteren sammele ich gerade Spenden von Baumwollstoffen, Nähgarn und Gummibändern für eine Frau, die Mundschutzmasken für medizinische Einrichtungen näht. Wenn ihr also etwas zu spenden habt, könnt ihr das gerne bei mir vorbeibringen und ich leite es an sie weiter. Die Bonner Freiwilligenagentur hat just heute eine ähnliche Aktion gestartet und sucht ehrenamtliche Maskennäher*innen sowie Stoffspenden. Schaut doch mal bei der Freiwilligenagentur in eurer Stadt vorbei – dort gibt es sicher auch Möglichkeiten der Nachbarschaftshilfe oder Spendenoptionen!

Ansonsten sucht die NGO „Translators without Borders“ gerade freiwillige Übersetzer für Infomaterialien zu Corona, v. a. für asiatische Sprachen: https://translatorswithoutborders.org/covid-19

Den Humor nicht verlieren

Zu guter Letzt teile ich ein paar Kuriositäten aus „Coronistan“ mit euch:

Katholische Kirche erlässt gläubigen Infizierten ihre Sünden (Deutsche Welle, 20.03.20)

Polen setzt beschlagnahmten Wodka als Desinfektionsmittel ein (Spiegel Online, 20.03.20)

McDonald’s-Mitarbeiter helfen bei Aldi aus (Spiegel Online, 20.03.20)

Solidarität und Humor in Zeiten von Corona (Deutsche Welle, 29.03.20)

Musik gegen Corona-Langeweile (Deutsche Welle, 16.03.20)

Mittlerweile halte ich draußen nicht mehr bei jedem Vorbeigehenden intuitiv die Luft an (um ja kein ausgeschiedenes Tröpfchen einzuatmen) und mittlerweile habe ich tagsüber eine richtige Homeoffice-Routine und abends eine Zu-Hause-Routine entwickelt – der Ausnahmezustand wird langsam zum Normalzustand. Wie lange noch? Tja, „the answer my friend, is blowing in the wind…“. In diesem Sinne: Haltet durch und bleibt gesund!

 

Jerusalem. Die Heilige Stadt im Konfessionswirrwarr

Etwa zwei Wochen vor Trumps umstrittener Äußerung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen zu wollen, besuchten wir als krönenden Abschluss unserer Nahostreise den „Zankapfel“ Jerusalem. Wir sollten nur 1,5 Tage Zeit für das Kennenlernen der „Heiligen Stadt“ (auf Arabisch heißt Jerusalem nämlich „al-Quds“ – die Heilige) haben und dementsprechend vollgepackt war unser Besichtigungsprogramm. Vom Hotel in Bethlehem aus fuhren wir mit unserem Reisebus durch den Checkpoint zwischen Westjordanland und Israel hindurch (keine Kontrolle und Wartezeit) und nahmen entlang der Mauer Kurs auf Jerusalem. Erste Station war der Ölberg – auf Arabisch und Hebräisch „Olivenberg“ genannt, da der Berg einst mit Olivenbergen bewachsen war. Am Aussichtspunkt, den wir nach Besichtigung der kleinen Himmelfahrtskapelle (bewahrt angeblich den letzten Fußabdruck Jesus‘ vor seiner Himmelfahrt auf) ansteuerten, war der Ölberg eher mit tausenden von Touristen „bewachsen“ so dass es schwer war, den historischen Ausführungen unseres Guides Ariel zu folgen. Aber der Panoramablick hinüber zur Altstadt Jerusalems mit dem die Al-Aqsa-Moschee und den Felsendom umfassenden Tempelberg, der Stadtmauer, zahlreichen Kirchtürmen, den konfessionellen Friedhöfen und der Stadtmauer waren mehr als beeindruckend. Ariel erzählte uns, dass es sich Juden, die auf dem Friedhof am Fuße des Ölbergs begraben werden wollen, bereits zu Lebzeiten Unmengen an Geld kosten lassen, um ein Grab mit „Ausblick“ auf den Tempelberg zu erkaufen.

Wir besichtigten die architektonisch interessante „Dominus Flevit“-Kirche (lat. für Der Herr weint), die von Franziskanern unterhalten wird und deren tränenförmige Gebäudeform an das Weinen Jesus‘ im Wissen um die baldige Zerstörung Jerusalems und die Diaspora des jüdischen Volkes erinnert. Über den untypischerweise nach Westen ausgerichteten Altar hinweg konnte man genau hinüber zur goldenen Kuppel des Felsendoms sehen. Ein schöner Effekt! Wir stiegen den Ölberg nun langsam einen extrem steilen Weg hinab und gelangten zum wunderschönen Garten Gethsemane, der Ort, an dem Jesus einen Tag vor seiner Kreuzigung gebetet und in Vorahnung seiner Festnahme „Blut geschwitzt“ haben soll. Die alten knorrigen Olivenbäume sollen teilweise fast eintausend Jahre alt sein! An den Garten angeschlossen befindet sich die römisch-katholische „Kirche aller Nationen“ oder, in Anlehnung an die biblische Geschichte, auch „Todesangstbasilika“ genannt. Die Kirche wurde zwischen 1919 und 1924 mit finanzieller Unterstützung aus zwölf Ländern erbaut (darunter Deutschland), wofür diese Länder zum Dank mit ihrem Wappen an der Kirchendecke verewigt wurden. Ein interessantes, farbenfrohes Interieur und – auf einmal – ein herzzerreißendes Schluchzen einer Touristin, die sich über den Stein beugte, an dem Jesus in Todesangst kurz vor seiner Verhaftung gebetet haben soll.

Als nächster Programmpunkt stand die Altstadt Jerusalems, genauer gesagt das Jüdische Viertel, auf dem Programm. Wir starteten zu Fuß aus vom Jaffator und liefen in den Basar hinein. Dieser wirkte mit den gelangweilten Verkäufern und den blankgeputzten Treppenstufen ein bisschen steril im Vergleich zu den orientalischen Märkten, die ich aus Marokko oder Syrien kannte. Ein Straßenschild jedoch erregte meine Aufmerksamkeit: Ein Verbotschild, mit dem E-Bike in den Basar hineinzufahren. Und tatsächlich konnten wir später in Jerusalem einige jüdische Bewohner, die man unschwer an Schläfenlocken und breitkrempigem, schwarzem Hut erkennen konnte, mit dem E-Bike durch die Gegend brausen sehen. Bei den vielen Hügeln ist es kein Wunder, dass sie auf elektrischen Antrieb setzen!

Ariel zeigte uns die Ausgrabungsreste des einstigen, tiefer als das heutige Jerusalem gelegenen Cardos, die Hauptstraße aus römisch-byzantinischer Zeit. Die steinernen Zeugen befinden sich teils im überdachten Basar, teils außerhalb. Vorbei an der Hurva-Synagoge ging es dann auch schon weiter in Richtung Klagemauer, Kotel genannt. Vorher musste allerdings noch eine Mittagspause eingelegt werden. Leider landeten wir an der wahnsinnig von Touristen überlaufenen „Fressmeile“ mit überteuertem israelischen Fast Food. Immerhin konnten meine Schwester und ich aber zumindest ein bisschen Ruhe finden, da wir uns nur einen Schritt weiter in eine Nebenstraße setzten und die Einheimischen beobachteten. Eine Horde Mädels kam uns entgegengelaufen, die schon – typisch jüdisch – knielange schwarze Röcke trugen. Später auf dem Vorplatz der Klagemauer konnten wir weitere jüdische Kleidungsvariationen beobachten: Männer ganz in Schwarz mit Schläfenlocken und Hut; Frauen teilweise mit Kopftuch oder gar mit Perücke. Wie Ariel uns erklärte, zeigen gläubige jüdische Frauen nach der Hochzeit ihr Haar nicht mehr öffentlich und verstecken es entweder unter einem Kopftuch oder rasieren es sich ab und tragen stattdessen eine Perücke. Jüdische Männer mit fetten braunen Pelzmützen (Schtreimel) und schwarzem Mantel wie ich sie in New York gesehen hatte, konnte ich hingegen an der Klagemauer nicht ausfindig machen und hatte sie nur einmal aus dem Busfenster heraus nahe des ultraorthodoxen Stadtviertels Mea Schearim gesehen. Der Schtreimel wird hauptsächlich von chassidischen Juden mit osteuropäischen Wurzeln getragen, von denen es heutzutage noch größere Gemeinden in Jerusalem und New York gibt. Doch zurück zur Klagemauer: Ich hätte es nicht gedacht, aber wir durften tatsächlich bis an die Mauer herangehen. Sie ist in einen (größeren) Abschnitt für Männer und einen (natürlich kleineren :-/) Abschnitt für Frauen unterteilt und kann 24 Stunden am Tag besucht werden. Es steckten wahnsinnig viele kleine Zettel in den Mauerritzen. Fallen sie raus oder werden es zu viele Zettel, so werden sie aufgesammelt und auf dem Ölberg „beerdigt“; wergwerfen darf man sie nicht. Vor der Mauer waren Plastikstühle aufgestellt, auf denen man sich mit einem der ausleihbaren religiösen Bücher hinsetzen und lesen oder beten konnte.

Die Davidstadt, der älteste besiedelte Teil Jerusalems, bildete den vorletzten Höhepunkt des Tages. Man hatte auf dem Gelände bereits Siedlungsspuren aus der Kupferzeit (4500-3500 v. Chr.) gefunden – benannt aber ist die Davidstadt nach König David, der etwa 1000 v. Chr. gelebt hatte und damals König von Israel gewesen war. Zunächst liefen wir zwischen den Ausgrabungen der Davidstadt umher und konnten auf den gegenüberliegenden palästinensischen Stadtteil Silwan von Ostjerusalem schauen, der auf dem Fundament von etwa 50 Felsgräbern erbaut worden war. Danach ging es hinab in den Hiskija-Tunnel, der seit der Antike Trinkwasser aus der Gihonquelle in den Teich von Siloah leitete und somit die Trinkwasserversorgung Jerusalems sicherstellte.

Nach einem kurzen Abendessen im Hotel in Bethlehem ging es abends erneut nach Jerusalem zum Rundgang „Jerusalem by Night“, bei dem wir zuerst durch die nahe des Jaffators gelegene Open-Air-Einkaufsmeile „Mamilla Mall“ schlenderten. Sie war eindeutig für eine junge, reiche Generation gebaut worden und soll das Nachtleben Jerusalems (das bis vor einigen Jahren quasi nicht existent gewesen sein muss) mit seinen schicken Geschäften, Cafés und Restaurants etwas aufpeppen. Makabererweise ist die Mall wohl teilweise auf dem Gelände des muslimischen Mamilla-Friedhofs errichtet worden. Vom Ende der Mall ging es wieder, wie schon tagsüber, zum Jaffator und durch den geschlossenen Basar hindurch bis zur Klagemauer. Danach drehten wir eine weitere Runde mit dem Bus zu einigen angestrahlten Sehenswürdigkeiten (Damaskustor, Parlament, genannt „Knesset“, einige Museen) und waren – ziemlich müde – danach froh wieder ins Hotel zu kommen und schlafen gehen zu können.

Am letzten Reisetag besuchten wir morgens eine Behinderteneinrichtung in Beit Jala bei Bethlehem, über die ich in meinem vorherigen Blogeintrag bereits berichtet habe. Danach standen weitere Highlights in Jerusalem auf dem Programm. Zunächst betraten wir durch das Löwentor die Via Dolorosa (lat. Leidensweg) , den Prozessionsweg Jesus‘, auf dem er das Kreuz durch Jerusalem getragen haben soll. Der Weg ist mit 14 Stationen markiert und über und über mit Touristen überlaufen. Man kann sich absurderweise an vielen Stellen entlang der Via Dolorosa ein Holzkreuz  sowie eine Dornenkrone ausleihen und den Kreuzweg Jesus‘ nach“spielen“. Ich möchte nicht wissen, was jeden Freitag bzw. an den Ostertagen für ein Gedränge herrscht, wenn die Prozession von vielen tausenden Gläubigen begangen wird… Entlang der Via Dolorosa findet man allen nur erdenklichen religiösen Kitsch: Ikonen, Kreuzketten, Lampen, Kerzen, aber auch jüdische Kippas und etc., die zumeist von arabischen Verkäufern verkauft werden. Die Krönung an Massentourismus war die Grabeskirche, die Kirche also, die über der Stelle errichtet ist, an der sich Jesus‘ Kreuzigungs- (Golgota) und Grabesstätte befunden haben soll. Ich weiß nicht wie viele tausende Menschen sich in dieser Kirche drängten und wie viele sich um die Ädikula (eine Art Grabüberbau) herumschlängelten, um an das Grab Jesus‘ heranzukommen. Ich fand es merkwürdig, dass man bei der Besichtigung der Klagemauer noch einmal durch einen Checkpoint hatte durchgehen müssen währenddessen beim Eintritt in die Grabeskirche weder Personen noch Taschen kontrolliert wurden. Die Grabeskirche stellt übrigens auch einen wahren Zankapfel der christlichen Konfessionen dar. Verschiedene Teile der Kirche sind unter sechs christlichen Denominationen aufgeteilt: armenisch-apostolisch, äthiopisch-orthodox, griechisch-orthodox, syrisch-orthodox, römisch-katholisch und koptisch (interessanterweise nicht protestantisch). Da sich die Konfessionen jedoch untereinander nicht einigen konnten, wer denn die Kirche auf- und zuschließt, haben sie den Schlüssel schon seit Jahrhunderten an eine muslimische Familie abgegeben wie dieser Beitrag von Deutschlandfunk Kultur sehr schön veranschaulicht.

Den Nachmittag hatten wir zur freien Verfügung und so machten meine Schwester und ich den Basar unsicher: Gewürze shoppen, arabische, siruptriefende Süßigkeiten ausprobieren und einen Mango-Granatapfel-Saft trinken – lecker, aber auch sehr teuer. Die Preise in Israel sind nämlich ziemlich hoch; so liegt das Niveau der Lebenshaltungskosten sogar um etwa ein Viertel höher als in Deutschland. Auch Mieten sind extrem teuer.

Der letzte Programmpunkt in Jerusalem war das so genannte „Gartengrab“, dessen Besichtigung uns Ariel vorschlug nachdem wir in der Grabeskirche vor lauter Touristenmassen nichts vom Grab Jesus‘ hatten sehen können. Die Gartenanlage mit einigen Grabstätten wird von anglikanischen und freikirchlichen Christen als die Grabesstelle Jesus‘ angesehen und so mussten wir, um sie zu sehen, zumindest ein bisschen Schlangestehen. Aber nichts im Vergleich mit der Grabeskirche!

Somit war unser Jerusalembesuch auch schon beendet. Klar, dass wir alles nur im Sauseschritt hatten sehen können; für einen ersten Eindruck aber hat es allemal gereicht. Bei einem nächsten Besuch warten auf jeden Fall noch zahlreiche weitere Sehenswürdigkeiten, Museen und interessante Stadtviertel auf einen.

Mal wieder in aller Herrgottsfrühe ging es am Dienstagmorgen mit dem Bus von Bethlehem zum Flughafen in Tel Aviv. Diesmal wurde nur eine Person aus unserer Gruppe und einer der Reisebegleiter zum „Verhör“ durch die israelischen Sicherheitskräfte zitiert, was diese aber mit Bravour meisterten. Vormittags kamen wir wieder im novembergrauen Berlin an – randvoll mit schönen, aber auch nachdenklich stimmenden Reiseerinnerungen, die erst einmal verdaut werden mussten. Es war u.a. wirklich eine Bildungsreise zu unseren westeuropäischen, (christlich-) kulturellen Wurzeln gewesen, von denen man zwar viele Namen und Begriffe (z. B. Jordan, See Genezareth, Golgata) irgendwie kennt, aber nie eine Vorstellung davon gehabt hat. Nun haben wir die Bilder und die Geschichten dahinter vor Augen.

Zum Teetrinken nach Djerba. Houmt Souk, die Inselhauptstadt

Noch immer wartete ich auf das Startdatum für meinen neuen Job in Berlin und so dachte ich mir, dass das „Abwarten und Tee trinken“ sich doch am besten in einem arabischen Land realisieren ließe. So fiel meine Wahl auf Tunesien, insbesondere die Insel Djerba, die man hauptsächlich für ihre Hotelressorts kennt. Mich interessierte jedoch vor allem der Kulturmix aus muslimischer, jüdischer, arabischer und berberischer (Amazigh-)Kultur, über den ich vorab gelesen hatte und so landete ich auch in keinem Betonklotz am Strand, sondern in einem Hotel mitten in der Inselhauptstadt Houmt Souk. Das schon etwas abgenutzte, aber sehr sympathische Hotel befand sich in einem ehemaligen Funduk, einer Karawanserei, in dessen Innenhof früher die Kamele übernachtet hatten und in dem ich nun jeden Morgen mein französisches Frühstück mit Baguette, Marmelade und „Gummikäse“ („La Vache qui rit“ lässt grüßen!) einnahm.

Rund um das Hotel erstreckte sich die Altstadt von Houmt Souk mit ihren typischen (jüdischen) Silberschmuckboutiquen, (Männer-)Cafés, Restaurants und Souvenirläden, die insbesondere Korb- und Lederwaren, Sonnenhüte, bunte Tunikas und Keramik verkauften. Blau-weiße Farbgebung dominierte die Altstadt; die Moscheen strahlten komplett in weiß und faszinierten mich mit ihrer schlichten Architektur. Auf Djerba gehört die Mehrheit der Bevölkerung den Ibaditen an, einer Strömung des Islams, die weder Sunniten noch Schiiten sind. Sie sind zwar in ihrem Glauben konservativer als die sunnitische Bevölkerungsmehrheit Tunesiens, gleichzeitig aber auch toleranter gegenüber anderen Religionen und Kulturen, was sich einfach aus der Geschichte Djerbas ergibt, das neben der Existenz seiner jüdischen Gemeinde auch spanische, türkische (osmanische) und französische Einflüsse aufnahm. Die Mehrheit der Djerbis ist zudem berberischen Ursprungs; Berber waren die Ethnie, die bereits vor der Eroberung Djerbas durch die Araber auf der Insel lebten und die bis heute ihre eigene Sprache und Kultur pflegen. Wobei man eigentlich besser von „Amazigh“ (=  wörtlich „freie Menschen“) sprechen sollte, erinnert doch das Wort „Berber“ an das negativ konnotierte „Barbaren“.

Um mich noch ein bisschen mehr mit der Inselgeschichte und -kultur zu befassen, besuchte ich am ersten Tag das Volkskundemuseum und erfuhr interessante Details über Olivenölherstellung, Töpferei, Oktopusfischen (mit Hilfe von Tonkrügen, die an einem Seil aufgereiht über Nacht ins Meer gehängt werden, und in denen sich die Oktopusse dann verkriechen), djerbische Kleidung, Wassergewinnung und -speicherung etc. Leider hatte das Museum schon im Hinblick auf den baldigen Ramadanbeginn verkürzte Öffnungszeiten und so konnte ich gar nicht alles schaffen anzuschauen. Mit dem Fotoapparat „bewaffnet“ lief ich dann in der goldenen Abendsonne vorbei an der spanischen Festung Bordj el Kebir bis hin zur Marina, einem Hafenviertel mit Cafés und Restaurants, das aber, da Nebensaison war, recht verlassen da lag und dessen beste Tage auch schon etwas zurück lagen. Die Ausflugsboote jedoch so kurz vor Sonnenuntergang sahen einfach nur toll aus!

An einem der späteren Tage musste ich in Houmt Souk natürlich noch den Gewürzmarkt unsicher machen – die 11 kg, die mein Gepäck auf dem Hinweg noch frei gehabt hatte, wollten schließlich gefüllt werden! Hinzu kamen eine Flasche Olivenöl, ein handgefertigter Sonnenhut, grüner Ton (für Gesichtsmasken), Ledersandalen, sowie Süßigkeiten, die ich im Hotel geschenkt bekam. Eine ordentliche Ausbeute! 🙂

Ostern in Budapest. Tag 2: Paprikaalarm und sansibarisches Mittagessen

Tag 2 in Budapest startete mit einem Paprikaalarm – zumindest sieht man fast nichts anderes, wenn man die älteste Markthalle der Stadt, Nagycsarnok, betritt. Getrocknete Paprika in verschieden großen Bündeln, Paprika in Pulverform, Paprikaöl, Paprikaseife – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Dazwischen: Bäckerstände mit diversen süßen Teilchen (z. B. Strudel), Obst und Gemüse, geräuchertem Käse, Salami en masse und auf der oberen Etage bestickte Textilien und Tischdeckchen, sowie Lederhandtaschen. Lange hielt ich es allerdings nicht in der Markthalle aus, sondern floh vor den hereinströmenden Touristenmassen nachdem ich einen kleinen Paprikavorrat eingekauft hatte. Nach einem Gang durch die ebenfalls gut gefüllte Einkaufsstraße der Innenstadt (es war ja Samstag und somit der einzige verkaufsoffene Tag am Osterwochenende), begab ich mich weiter südlich in die ehemaligen Arbeiterviertel Josephstadt und Franzensstadt, wo ich einen Mittagsimbiss suchen wollte, um mich für den Besuch des Nationalmuseums zu stärken. Mein „Lonely Planet“-Reiseführer führte mich in ein afrikanisches Restaurant, wie sich herausstellte ein tansanisches, ja sogar ein sansibarisches Restaurant! Der Besitzer erzählte mir, dass er und der Freund, mit dem er das Restaurant zusammen betrieb, wohl die einzigen beiden Sansibaris Budapests seien und es in der ganzen Stadt wohl nur etwa 30 Tansanier gäbe. Er war noch zu sozialistischen Zeiten mit einem Stipendium zum Studium nach Budapest gekommen und war seitdem dageblieben. Immer jedoch, wenn er sein Visum verlängern will, muss er nach Berlin fahren, da sich dort die nächste tansanische Botschaft befindet. Was für ein Zufall in Budapest Kiswahili hören zu können!

Nachdem ich im Nationalmuseum einiges über die ungarische Geschichte erfahren hatte, wollte ich die Abenddämmerung nutzen und mir das Lichtermeer Budapests von oben anschauen. Gesagt, getan fuhr ich bis an den Fuß einer weiteren Therme, dem Gellért-Bad, und stiefelte den Gellért-Berg nach oben. Oben angekommen empfing mich der übliche Touristentrubel, der Ausblick auf die beiden Stadtteile „Buda“ links der Donau und „Pest“ rechts der Donau waren aber einfach überwältigend und man konnte bis zu den Budaer Bergen blicken. Von hier oben wurde mir auch klar, warum Budapest mit seiner Lage an der Donau manchmal mit der französischen Stadt Lyon verglichen wird, die sich ähnlich an den Zusammenfluss von Rhone und Saône anschmiegt und ebenfalls von Bergen umgeben ist. Leider wurde es mit Einbruch der Dunkelheit ziemlich kalt, so dass ich bald wieder den Abstieg antrat und mich auf mein überheitztes Hostelzimmer freute.

Ostern in Budapest. Tag 1: Jüdisches Hipsterviertel, Heldenplatz und Stadtwäldchen

„Nie wieder Nachtzug im Sitzabteil!“ dachte ich mir nachdem ich nach fast zwölfstündiger Fahrt von Berlin nach Budapest angekommen war. Okay, dass eine Nacht auf dem Sitzplatz mit wenig komfortabler Schlafposition auf mich zukommt, hatte ich ja vorher gewusst. Aber dass  genau mir gegenüber ein quasselstrippiger ungarischer Herr Platz nehmen sollte, das konnte ich vorher leider nicht ahnen. Erst laberte er seine Sitznachbarin auf Deutsch zu, obwohl sie sich einfach nur in ihr Buch vertiefen wollte. Ich hatte das Gefühl, dass er sich nur mit ihr unterhielt, um sich wichtig zu machen und einen belehrenden, besserwisserischen Tonfall an den Tag zu legen.  Ein typischer Fall von „Mansplaining“ dachte ich noch, doch dann schwenkte der redselige Herr auf Ungarisch auf ein Gespräch mit meinem Sitznachbarn um. Sie unterhielten sich wirklich OHNE Pause bis etwa Mitternacht, dann war bis morgens gegen 7 Uhr endlich Ruhe im Abteil, doch direkt nach dem Aufwachen ging das Gequassel wie auf Knopfdruck ohne Punkt und Komma weiter. Unglaublich wie man so viel reden kann! Gottseidank verstand ich nichts und war froh gegen 8.30 Uhr endlich aussteigen und zu meinem Hostel fahren zu können. Auf dem Weg dorthin lernte ich gleich Budapests U-Bahn kennen, insbesondere die Linie M1, die, 1896 eröffnet, als älteste U-Bahnlinie des europäischen Festlandes gilt. Die kleinen Waggons und die kachel- und holzverzierten Ministationen sahen echt urig aus – ich fragte mich nur, wie es kapazitätsmäßig in Stoßzeiten unter der Woche aussehen muss… Am Osterwochenende waren gefühlt fast nur Touristen in der Stadt unterwegs und die Budapester wohl mehrheitlich auf’s Land gefahren.

Erster Anlaufpunkt meines ersten Tages in der ungarischen Hauptstadt war das jüdische Hipsterviertel. Hier steht die nach der Synagoge in New York weltweit zweitgrößte Synagoge. Ein beeindruckendes, schönes Ziegelbauwerk, dass mit seinen maurischen Stilelementen an die Synagoge in Berlin in der Oranienburgerstraße erinnert. Um die Synagoge herum: Typisches Hipsterviertel so wie es mittlerweile in jeder größeren europäischen Stadt existiert mit kleinen Cafés, Kneipen und Läden, von denen die meisten an diesem Karfreitag allerdings geschlossen waren. Die Dichte an hippen israelischen Falafelimbissen und weiterem „jüdischen“ Essen erinnerte mich sehr an das gentrifizierte jüdische Viertel in Krakau, das ich Anfang des Jahres besucht hatte. Irgendwie geht mir diese vereinheitliche Hipsterkultur schon echt auf die Nerven und auch auf dem Flohmarkt, über den ich durch einige Hinterhöfe hindurchschlenderte unterschied sich mit seinem Stoffbeutel- und Ohrringeangebot kaum von Berliner Flohmärkten.

Nach einem Zwischenstop im prunkvollen „Café New York“, einem der traditionellen Kaffeehäuser Budapests, das allerdings extrem überteuert war,  lief ich weiter Richtung Donau. Auf dem Weg dahin konnte ich mir die beeindruckenden und architektonisch sehr interessanten Häuserfassaden etwas genauer ansehen – in dieser Hinsicht erinnert mich Budapest sehr stark an Paris und einige der Jugendstilbauten sogar an Helsinki mit seinen Bauten im Stil der Nationalromantik. In Ungarn hatte sich mit dem „Szecesszió“ ein ganz eigener Stil des Jugendstils herausgebildet, der insbesondere historische Figuren und Szenen sowie orientalische Elemente in die Architektur einband. Fast an jeder Ecke konnte einen ein ungewöhnliches Bauwerk überraschen!

Am Nachmittag machte ich mich zum Stadtwäldchen auf, ein großer Park nordöstlich des Zentrums gelegen, dessen Eingang vom riesigen Heldenplatz flankiert wird, auf dem sich die Touristenmassen tummelten. Im Park selbst konnte man dem recht kalten und windigen Osterwetter trotzen und noch ein paar Sonnenstrahlen abbekommen. Ich lief einmal um Europas größte Therme (ja, Budapest hat schon viele Superlative zu bieten!), das Széchenyi-Bad, herum, entschied mich aber nicht hineinzugehen, sondern an einem der kommenden Tage eine der türkischen Therme der Stadt auszuprobieren. Türkische Therme? Ja, ganz richtig! Budapest war von 1541 bis 1686 von den Osmanen besetzt gewesen und diese wussten sich die Thermalquellen der Stadt zu Nutze zu machen, in dem sie öffentliche Bäder bauten, die teilweise bis heute in Betrieb sind.

Ich beschloss den Tag, in dem ich noch zwei im Reiseführer erwähnte Jugendstilbauten in der Nähe des Stadtwäldchens, die ehemalige staatliche Blindenanstalt und das Geologische Institut, abklapperte, und in einem günstigen Restaurant frittierte Champignons und Suppe mit Mehlklößen mampfte. Lecker!

Krakau. Interkontinentales Silvestertreffen bei Bigos und Pierogi

Was mache ich zu Silvester? Die alljährliche Preisfrage zum Ende des Jahres rückte näher. So traf es sich gut, dass Maki, eine japanische Freundin, die ich noch aus Sansibar kannte, auf den „Kontinent“, wohlgemerkt den europäischen Kontinent, kommen wollte. Sie arbeitet nämlich derzeit in Nairobi, Kenia, und brauchte etwas Erholung von der dortigen Tätigkeit und Kultur. Mit von der Partie war Makis Freund, Matt, aus Großbritannien. Unsere kleine, aber feine interkontinentale Reisegruppe traf sich also in Krakau, wo wir per AirBnB eine original sozialistisch angehauchte Plattenbauwohnung in einem Krakauer Außenbezirk gebucht hatten. Die Wiedersehensfreude am Morgen des 28. Dezembers war groß – hatten wir uns doch drei Jahre lang nicht mehr gesehen. Auch wenn ich von der Nachtbusfahrt von Berlin nach Krakau noch ein bisschen müde war, so wollten wir uns nicht ausruhen und fuhren gleich nach Wieliczka, ca. 10 km südöstlich von Krakau gelegen, wo es ein zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärtes Salzbergwerk zu besichtigen gibt. Draußen wehte ein eisiger Wind und so waren wir froh für über zwei Stunden in den Untergrund abtauchen zu können, wo es deutlich wärmer war. Im Rahmen einer Führung kamen wir an Salzdenkmälern, Figuren und Gerätschaften, die den Bergbau in früheren Jahrhunderten zeigten, grünlich schimmernden Seen und als Highlight an einer riesigen Halle vorbei, die als Kapelle genutzt wurde. Und das alles unter Tage – Wahnsinn! Natürlich durfte auf der Hälfte der Strecke auch die Shopping“straße“ mit allen möglichen Salzprodukten nicht fehlen. 😉 Nach über zwei Stunden Führung waren wir langsam ausgehungert und so blieben wir im Restaurant – natürlich ebenso unter Tage gelegen – hängen. Die erste Begegnung mit polnischem Essen stand an und so bestellte ich mir das deftige polnische Nationalgericht Bigos, Sauerkraut mit verschiedenen Fleisch- und Wurstsorten geschmort. Lecker!

Auch den zweiten Tag in Krakau verbrachten wir eher untypisch in einem östlichen Außenbezirk, dem Arbeiterstadtteil Nowa Huta. Dieser Bezirk war 1949 ursprünglich als eigene Stadt gegründet worden, um den Arbeitern der dort angesiedelten Stahlindustrie eine Wohnstätte zu bieten.  Nowa Huta war als sozialistische Planstadt angelegt worden, soll heißen, dass von einem zentralen Platz alle Straßen sternförmig (bei Nowa Huta halbsternförmig) abgehen. Typisch sind zudem langgestreckte, dunkelgraue Häuserzeilen mit Arkaden, die mich streckenweise an die Architektur der Karl-Marx-Allee in Berlin erinnerte.  Nun ja, hübsch ist was anderes und das grieselgraue Dezemberwetter verstärkte eher noch den tristen Gesamteindruck. Erste Station war das „Museum Polens unter kommunistischer Herrschaft“ (Muzeum PRL-u) mit einer Ausstellung zu kommunistischen Regimen in Europa. Außerdem konnte man den eisekalten Bunker im Keller besichtigen. Das war echt ein bisschen gruselig zumal einen in den einzelnen Räumen Figuren mit Gasmaske erwarteten…

Hungrig vom Museumsbesuch landeten wir in einer typischen polnischen „Milchbar“, die eigentlich eher eine Art Kantine darstellt, in der es unschlagbar günstiges, weil staatlich subventioniertes Essen gibt. Wäre da nicht die Sprachbarriere gewesen… Es dauerte ewig bis wir auf der Speisekarte einigermaßen verstanden hatten, was es im Angebot gab, aber dann musste man sich den Namen des Gerichts auch noch irgendwie merken und vor allem halbwegs richtig aussprechen, damit die Dame an der Essensausgabe wusste, was man will. Ich bestellte der Einfachheit halber Borschtsch und Pierogi, war dann allerdings wieder völlig hilflos als die Dame mich irgendetwas auf Polnisch zu diesem Essen fragte und schließlich, weil ich nur Bahnhof verstand, mit einem Teller und zwei aufgeschnittenen Pierogi zurückkam. Nun war es klar – sie wollte wissen, ob ich Fleisch- oder Kartoffelfüllung haben wollte. Oh man, ich nahm mir vor, gleich diese Vokabeln nachzuschlagen und war froh, dass die Frau so geduldig mit mir gewesen war. In einer anderen Milchbar standen wir an einem anderen Tag vor demselben Verständigungsproblem bis die Frau an der Ausgabe eine Essenskarte auf Englisch aus der Schublade zauberte.  Unsere Rettung! In den Touristenrestaurants hatte man natürlich keinerlei Verständigungsprobleme, zahlte dafür aber auch entsprechend mehr. Und irgendwie war das Essenbestellen und -ausprobieren (in einer Milchbar) schon lange nicht mehr so lustig gewesen!

Nach einem Spaziergang in Nowa Huta kamen wir am Abend durchgefroren endlich ins historische Zentrum von Krakau und landeten gleich erst einmal im nächstbesten Café um uns mit Tee und Kaffee aufzuwärmen. Was wir abends bereits schön angeleuchtet sehen konnten, sollten wir am nächsten Morgen in strahlendem Sonnenschein erleben: den riesigen Hauptmarkt (Rynek Główny) mit Tuchhallen, Marienkirche und Rathausturm umrahmt von schön hergerichteten Renaissance- und Gotikhäusern. Mitten auf dem Platz gab es immer noch einen Weihnachtsmarkt und hier tummelten sich schließlich alle Touristen, von denen wir ins Nowa Huta gerade einmal eine Handvoll gesehen hatten. Maki und ich (Matt hatte sich ins Luftfahrtmuseum abgesetzt) statteten dem Wahrzeichen Krakaus, der Marienkirche einen Besuch ab und hatten Glück: Gerade als wir drin waren, wurde der riesige Flügelaltar geöffnet und gerade als wir auf dem Turm der Kirche waren, spielte der so genannte Türmer ein kurzes Triumphlied („Hejnał“) auf seiner Trompete zu den in alle vier Himmelsrichtungen abgehenden Fenstern hinaus.

Am nächsten Tag, Silvester, begaben wir uns früh zur ehemaligen Emaillefabrik von Oskar Schindler, in der sich heute ein Museum zur Zeit Krakaus unter der Naziherrschaft 1939-1945 befindet. Das Museum war superinteressant und sehr gut gemacht, aber leider hatten viel zu viele Leute dieselbe Idee wie wir gehabt dieses Museum zu besichtigen und so war es einfach unerträglich voll und stickig. Neben den Einzelbesuchern wurden zu allem Übel auch noch riesige geführte Truppen durch die engen Gänge des Museums geschleust und machten es schwer für mich, mich auf die Ausstellungstexte zu konzentrieren. Als wir am Frühnachmittag aus dem Museum rausgingen, sahen wir allerdings dass wir noch Glück gehabt hatten, da die Leute nun bis draußen Schlange standen. Wir besichtigten noch die Adlersapotheke im ehemaligen jüdischen Ghetto und fuhren dann hinüber in die Altstadt.

Den Abend ließen wir auf dem Burgberg Krakaus, dem Wawel, ausklingen. Nach einem silvesterlichen Pizzaessen bei unserer Unterkunft in der Nähe fuhren Maki und ich erneut ins Stadtzentrum, um uns das Feuerwerk am Hauptmarkt anzuschauen. Dieses sollte, wie die Veranstalter ankündigten, „tierfreundlich“ sein, d. h. auf Knaller verzichten, was mir auch sehr entgegen kam – also auch ein „Conny-freundliches“ Feuerwerk sozusagen. 😉 Nach dem mitternächtlichen Farb- und Raketenspektakel war aber auch ganz schnell „Schicht im Schacht“ – die Leute brachen keine Viertelstunde später auf und verließen den Hauptmarkt größtenteils Richtung nach Hause. Alles verlief erstaunlich ruhig und gesittet, ja fast langweilig. Nur in unserem Außenbezirk wurde ordentlich geknallt, so dass das Echo der Böller zwischen den Plattenbauwänden durch die Nacht dröhnte.

Am Sonntag, dem ersten Tag des neuen Jahres, aber auch meinem letzten Reisetag, krachselten wir auf einen im Süden der Stadt gelegenen Hügel hinauf und hatten einen mehr oder weniger weiten Blick über Krakau. Leider weist die Stadt eine sehr hohe Luftverschmutzung auf, so dass der Smog das Stadtzentrum nur schemenhaft erkennen ließ. Vom Hügel aus liefen wir über die Weichsel hinüber ins jüdische Viertel Kazimierz. Zum Einen stehen hier noch zahlreiche alte Synagogen, zum Anderen hat hier das moderne Hippstertum Einzug gehalten: Stylische Cafés und Restaurants mit vorwiegend israelischer Nahostküche à la Hummus & Co., bröckelnde, mit Streetart versehene Häuserfassaden, kleine nette Schnick-Schnack-Läden, etc.

Ich hätte es nie gedacht, aber die fünf Tage in Krakau waren wie im Flug vergangen und wir hätten auf jeden Fall noch einige weitere Tage benötigt, um alle Sehenswürdigkeiten der Stadt abzuklappern. Naja, das nächste Mal dann vielleicht im Sommer! 😉

So nah und doch so fern: San Juan de la Maguana und ein Ausflug zum haitianischen Markt nach Comendador

So nah und doch so fern – San Juan de la Maguana, eine Stadt, in der gleich sechs Freiwillige unserer Gruppe wohnen, und die in Luftlinie eigentlich nicht weit von Jarabacoa entfernt liegt, vielleicht 60 km. Da es jedoch keine gut ausgebaute direkte Straßenverbindung gibt (nur eine unbefestigte Straße zwischen Constanza und San Juan), zieht sich die Anreise doch mächtig in die Länge: 2,5 Stunden mit dem Bus von Jarabacoa in die Hauptstadt und von dort 3 Stunden mit dem Bus nach San Juan + Wartezeit in der Busstation. Am 18. und 19. Mai sollten wir in San Juan in den Räumlichkeiten der Partnerorganisation FECADESJ von unseren Mitfreiwilligen Sarah und Manuel einen GIS-Kurs erhalten und so machte ich mich auf den langen Weg.

Der Kurs bot natürlich gleichzeitig eine super Gelegenheit die Freiwilligen vor Ort zu besuchen und San Juan kennenzulernen, eine Stadt, die mich tatsächlich überraschte: Zum Einen ist sie sehr weitläufig und so muss man zu Fuß ziemlich weite Strecken zurücklegen. Zum Anderen weil San Juan wirklich eine sehenswerte, hübsche Stadt ist, die es sich wirklich als Stadt zu besichtigen lohnt, so wie es meiner Meinung nach eigentlich nur wenige in der DomRep gibt (wenn, dann die Kolonialzone in Santo Domingo und das Zentrum Puerto Platas). In dem Stadtviertel, in dem ich übernachtete, gab es zu meiner Freude zudem ziemlich viele, noch gut erhaltene traditionelle, farbenfrohe Holzhäuser wie ihr unten auf den Fotos sehen könnt. Und noch eine Sache überraschte mich positiv: In San Juan war angeblich im Zuge irgendwelcher Olympischen Spiele (wobei die DomRep meiner Recherche zufolge nie Austragungsort war) eine große parkähnliche Sportanlage gebaut worden, die intensiv von den San Juanern genutzt wird. Auch ich und ein paar weitere Freiwillige konnten es uns nicht nehmen lassen, an der abendlichen kostenlosen Zumbastunde in der Sportanlage teilzunehmen. Was jedoch auch auffiel war, dass es in der Stadt trotz ihrer doch beträchtlichen Größe an den sonst üblichen Supermarkt- oder Fastfoodketten fehlte – vermutlich, weil es sich um eine der ärmeren Provinzen des Landes handelt, die Kaufkraft gering und wenig bis kaum Tourismus vorhanden ist (außer, dass ab San Juan eine weitere Route zum Pico Duarte hinaufführt).

Die Stadt gilt aber auch als eine Art spirituelles Zentrum: Zur Zeit der Sklavenaufstände im 18. Jahrhundert waren viele (afrikanische) Sklaven in die um San Juan liegenden Berge der Cordillera Central entflohen und lebten dort organisiert als „cimarrones“ mit ihren Traditionen und religiösen Kulten weiter. Noch heute weist San Juan zahlreiche religiöse Festlichkeiten auf: Prozession zu Ehren Altagracias (21. Januar), Fiesta Patronal (Patronatsfeier) (Juni), Osterprozessionen mit Gagá-Bands und „Espíritu Santo“ (Heiliger Geist)-Prozessionen, die sieben Wochen nach Ostern stattfinden. Leider habe ich davon während meines Besuchs nichts mitbekommen, so wie ich generell im ganzen Land bisher sehr wenig von der volkstümlichen Religionsausübung mitbekommen habe.

Von San Juan aus nutzen ein paar Freiwillige und ich die Gelegenheit am Freitag zum haitianischen Grenzmarkt nach Comendador (von den Dominikanern meist „Elias Piña“ wie die gleichnamige Region genannt) zu fahren. Der Markt sah ähnlich wie der aus, den ich bereits zweimal in Constanza besucht hatte: stapelweise Schuhe, Klamottenberge, Kosmetikprodukte und Haushaltsgegenstände en masse, aber hier auch Obst und Gemüse und das haitianische Dosenbier „Prestige“ sorgfältig am Straßenrand aufeinandergestapelt. Ich lief mit Manuel Richtung Grenze, doch bis auf eine Militärfestung war nichts weiter zu sehen, zumal eine unsägliche Hitze herrschte, vor der wir uns erst einmal in den nächsten „Bon“-Eisladen retten mussten. Mittags fuhren wir in das östlich gelegene Las Matas de Farfán weiter, in der Hoffnung dort libanesisches Essen zu finden, von dem ich im Internet gelesen hatte. Das sollte es angeblich dort geben, da sich in dem Ort wie in vielen anderen der DomRep auch vor einiger Zeit Libanesen angesiedelt hatten. Auch in San Juan hatte ich z. B. ein „Hotel Líbano“ und eine „Tienda Libanesa“ gesehen und auch die Herkunft des Oppositionskandidaten Luis Abinader wurde in der Medienberichterstattung immer wieder als „libanesisch“ betont. Kurz und gut: Es gab kein libanesisches Essen in Las Matas wie wir von einem spanischen Restaurantbesitzer erfuhren und so landeten wir schließlich in einem Sandwichladen, in dem das Essen auch sehr lecker war. Auch der Parque Central entpuppte sich nicht als halb so schön wie er in meinem Reiseführer beschrieben worden war.

Comendador:

Las Matas de Farfan: