Das afro-peruanische Erbe in Chincha und El Carmen

Bevor ich von den Anden wieder zurück an die Küste nach Lima fuhr, legte ich noch einen Zwischenstopp in Chincha ein. Chincha ist eine relativ nichtssagende Küstenstadt mit etwa 194.000 Einwohnern, die nördlich von Nazca liegt, wo Ly und ich am Anfang unserer Perureise einen Rundflug über die Nazca-Linien unternommen hatten. Ja, fast nichtssagend, wenn da nicht dieses eine interessante Detail gewesen wäre: Chincha ist die Hochburg der afro-peruanischen Kultur. Afro-Peruaner, also Peruaner mit afrikanischen Wurzeln, deren Vorfahren als Sklaven nach Peru gekommen waren, machen zusammen mit asiatischstämmigen (z. B. japanischstämmigen) und anderen Immigranten nur etwa 3 % der Gesamtbevölkerung (30,4 Mio.) aus. In Chincha ist dieser afrikanische Einfluss an jeder Ecke zu sehen: Restaurantschilder mit Schwarzen drauf, die für kreolisches Essen (comida criolla) werben, schwarze Puppen, die als Souvenirs verkauft werden, ein Denkmal für eine afro-peruanische Musikband mit dem typischen Cajón-Spieler (cajón = eigentlich span. für Kiste, Schublade, hier: Kistentrommel), etc. Und natürlich sieht man auch mehr schwarze Peruaner in der Straße als sonst an den Orten, wo ich bisher in Peru gewesen war.

Vom Zentrum Chinchas nahm ich einen Minibus und fuhr in das etwas außerhalb liegende Dörfchen El Carmen, wo einen bereits am Eingangsbogen an der Abbiegung von der Hauptstraße Wandmalereien mit bekannten afro-peruanischen Persönlichkeiten begrüßten. Ich ließ mich an der Casa-Hacienda San José absetzten, eine ehemalige Sklavenplantage, deren Hazienda heute zu einem Hotel umgebaut worden ist. Dort konnte ich eine interessante, aber leider viel zu kurze Führung durch die ehemaligen Wohnräume der spanischen Hazienda-Besitzer, die barocke Kapelle und die Katakomben machen, in denen die Sklaven manchmal zur Bestrafung in völliger Dunkelheit eingesperrt worden waren. Die zwischenzeitlich bis zu 1.000 Sklaven hatten auf den Zuckerrohr- und später auch Baumwollplantagen schuften müssen. Obwohl 1854 die Sklaverei in Peru abgeschafft worden war, arbeiteten viele der Sklaven weiterhin auf den Plantagen, was mich an die Geschichte Sansibars erinnerte, wo auch weiterhin Handel mit Sklaven getrieben wurde, obwohl die Sklaverei offiziell 1875 abgeschafft worden war. Die meisten der Sklaven, die nach Peru gebracht worden, stammten übrigens aus Westafrika. Oftmals waren sie erst bis Kuba, Hispaniola, Mexiko (Veracruz) oder Kolumbien (Cartagena de Indias) transportiert worden bevor man sie weiter nach Panama oder Peru verteilte.

Nach dieser kurzen Stippvisite in Chincha fuhr ich schließlich mit dem Bus weiter nach Lima, wo ich meine Perureise, zumindest für dieses Mal, mit einem Weiterflug nach New York beenden würde. Ich werde auf jeden Fall wiederkommen; bietet das Land in seinen immensen Dimensionen doch so viel, was man lernen und was man sich anschauen kann! In diesem Sinne: ¡Adiós, Perú!

Gringo-Quote (fast) Null – Unterwegs im Zentralen Hochland rund um Huancayo und Huancavelica

Noch eine Woche Peru hatte ich nach drei Wochen „Gringo-Trail“ vor mir. Ly reiste am Samstag, den 10. September, ab und so überlegte ich mir, wohin meine Reise gehen könnte. Der Regenwald, in Peru Selva genannt, reizte mich sehr, aber aufgrund der riesigen Entfernungen im Land wollte ich dies lieber einmal angehen, wenn ich mehr Zeit dazu haben würde. Die nördliche Küste fand ich auch interessant, doch dann stolperte ich über die Aussage in meinem „Lonely Planet“, dass sich das Zentrale Hochland durch eine „fast völlige Abwesenheit von anderen Reisenden“ auszeichne, und mein Interesse war geweckt. So nahm ich Sonntagmittag den Bus von Lima aus in die Anden hinein nach Huancayo. Aufgrund von Bauarbeiten und Stau kamen wir erst am späten Nachmittag in der etwa 400.000-Einwohner-Stadt an. Kurz Zeit, um noch über den Sonntagsmarkt zu schlendern und den Plaza de Armas im Zentrum abzuklappern. Naja, beeindruckt hat mich die Stadt nicht. Aber immerhin hatte ich auf dem Weg ins Zentrum schon eine gastronomisch interessante Straße nahe meines Hotels entdeckt, die sich witzigerweise „Calle de la MISTURA“, also entsprechend der Essmesse, die wir in Lima besucht hatten, nannte. Ich wollte nun endlich einmal eines dieser typischen China-Restaurants Perus, genannt „Chifa“, testen. Gesagt, getan. In der Straße gab es zahlreiche Chifas, deren Menüs sich nicht wesentlich voneinander unterschieden, und so wählte ich ein kleines Restaurant, wo ich mich, um mich etwas vor der nächtlichen Kälte zu schützen, in den hinteren Raum setzen konnte. Ich bestellte ein Gericht aus in roter süß-saurer Soße gedünstetem Obst mit Reis und Hühnerfleisch. Klingt ungewöhnlich, schmeckte aber gut. Direkt nach dem Essen machte ich mich jedoch auf zum Hotel, denn der laut plärrende Fernseher (der in Peru eigentlich fast in jedem Restaurant läuft) ließ nicht gerade eine gemütliche, entspannte Atmosphäre aufkommen. Außerdem musste ich am nächsten Morgen früh aufstehen. Ich wollte nämlich den Zug nach Huancavelica nehmen und der fuhr bereits 6:30 Uhr los.

Am nächsten Morgen war ich pünktlich am Bahnhof und reihte mich in eine lange Schlange ein, um das spottbillige Zugticket für den „Tren Macho“ zu kaufen: umgerechnet 2,60 € für mehr als fünf Stunden Zugfahrt bis Huancavelica. Außer mir sah ich tatsächlich auch nur einen einzigen weiteren Gringo. Der Zug war ziemlich rustikal, die Sitzbänke aus Holz hart und anfangs war es vor allem kalt, da alle die Fenster während der Fahrt offen ließen. Für manche, die Essen gebucht hatten, wurde ein voller Teller herzhaftes Frühstück mit Kartoffeln, Reis und Nudeln serviert, den sie, Chapeau Chapeau, während der ruckeligen Fahrt auf dem Schoß aßen. Wir fuhren die ganze Zeit in einem Tal und zeitweilig an einem Fluss entlang, so dass es immer etwas Interessantes zu gucken gab. Am zeitigen Nachmittag trafen wir in Huancavelica ein, ein 40.000-Einwohner-Städtchen mit schönen Kirchen in Kolonialarchitektur und mineralischen Quellen. Dort durfte man allerdings nur im Badeanzug und nicht im Bikini baden gehen und ausleihen wollte ich mir solch einen Badeanzug dann auch nicht. So schlenderte ich in der Stadt umher, kaufte ein paar Sachen auf den abends überall auftauchenden Straßen“ständen“ (Tücher auf dem Boden) und unterhielt mich ziemlich lange mit einem Tante-Emma-Ladenbesitzer, der mir über die Geschichte dieser ärmsten Gegend von Peru erzählte, in der besonders der Terror des „Leuchtenden Pfades“ (Sendero Luminoso) in den 80er und 90er-Jahren gewütet hatte.

Huancavelica ist noch wegen einer weiteren Sache bekannt, der Santa-Barbara-Mine, die sich hoch in den Bergen über der Stadt befindet. Ich machte mich am nächsten Tag auf den Weg dorthin und konnte nach einigem Suchen das verlassene Dorf finden, das damals als die Mine 1566 von den Spaniern eröffnet worden war, für die bis zu 3.000 indigenen Minenarbeiter gebaut worden war. Diese bauten Quecksilber in der Mine ab und starben in großer Zahl aufgrund der giftigen Gase, die das Schwermetall beim Abbau absonderte. Als die Mine 1786 einstürzte wurde sie komplett geschlossen und ist bis heute samt dazugehörigem Geisterdorf bestehen geblieben. Es gibt wohl Bestrebungen den Ort als UNESCO-Weltkulturerbe schützen zu lassen.

Von der Mine aus konnte ich in einem Schlenker durch ein weiteres Dorf und an vielen Lamas vorbei wieder zurück nach Huancavelica laufen. Von dort aus nahm ich gegen Mitternacht den Nachtbus, um nach Ayacucho weiterzufahren.

Arequipa, die zweitgrößte peruanische Stadt am Fuße des El Misti

Das erste, was uns bei der morgendlichen Ankunft in Arequipa mit dem Nachtbus aus Nazca kommend auffiel, war der riesige Berg, an dessen Fuße Arequipa liegt: Der Vulkan El Misti, stolze 5.825 m hoch (also minimal kleiner als der Kilimanjaro), wobei Arequipa selbst bereits auf einer Höhe von 2.350 m liegt. Die Stadt wirkt um einiges gemütlicher als Lima und weist gerade mal ein Zehntel der Einwohner der Hauptstadt (9,8 Mio. vs. etwa 970.000) auf. Wir hatten Glück einen Couchsurfing-Platz bei Giannina, genannt Gia, im schicken Bonzenviertel Yanahuara bekommen zu haben. Sie wohnte allein im riesigen, zweistöckigen Haus ihrer Eltern und wir erhielten nicht nur ein eigenes Schlafzimmer, sondern am ersten Abend auch ein köstliches, von Gia gekochtes Abendessen: Lomo Saltado, eine DER peruanischen Spezialitäten, die aus geschnetzeltem Rinderfleisch, Zwiebeln, Tomaten und Kartoffeln in Rotwein-Essig-Sauce und als Beilage Reise besteht. Mmh, sehr zu empfehlen!

In die Innenstadt liefen wir von Gias Haus zu Fuß aus, auch wenn uns wahrscheinlich jeder Peruaner für verrückt erklärt hätte. Nach der enormen Taxidichte zu schließen, lief hier keiner gerne zu Fuß, auch wenn es abends, natürlich in geringerem Ausmaß als in Lima, in der Innenstadt zum Verkehrschaos kam. Wahrscheinlich fuhren aber auch deshalb so viele Taxis herum, weil es immer noch ein recht lukrativer Job ist, auch wenn der Bildungsgrad der meisten Fahrer sie womöglich zu besseren Jobs befähigen würde. Die offizielle Arbeitslosenquote von 7,6% für ganz Peru wird wohl eine viel höhere Dunkelziffer haben…

Das erste, was wir in Arequipa besichtigten, war das beeindruckende Kloster „Monasterio de Santa Catalina„. Mit seinen etwa 20.000 m² wirkt es, wie mein „Lonely Planet“ ganz richtig schreibt, wie eine Stadt in der Stadt, in der man sich leicht verirren kann. Wir waren aber am Eingang mit einem guten Übersichtsplan ausgestattet worden und wanderten über zwei Stunden durch die Gassen und Räumlichkeiten des Klosters. Die wahlweise lehmroten und blauen Wände erinnerten mich in ihrer Farbenfreudigkeit an Marokko, insbesondere das Blau ließ mich an die nordmarokkanische Stadt Chefchaouen denken. Das Kloster war 1580 von der reichen Witwe María de Guzmán als Nonnenkloster gegründet worden. Reiche Familien gaben dort ihre Töchter ab, die dann vier Jahre lang unter Schweigepflicht als Novizinnen das Klosterleben testeten und nach dieser Zeit entscheiden mussten, ob sie weiterhin im Kloster leben (eine Ehre für die Familie) oder ob sie das Kloster wieder verlassen (eine Schande für die Familie) wollten. Aktuell leben in dem Kloster noch 20 Nonnen. Couchsurferin Gia erzählte uns, dass man vor nicht allzu langer Zeit vergrabene Embryoleichen im Klostergelände entdeckt hatte und wohl auch sonst nicht alles ganz koscher im Klosterleben zugehen musste… Weitere Kuriosität: In einem Raum des Klosters hängen Porträts aller bisher gestorbenen Nonnen. Der Maler hatte nach dem Tod einer Nonne genau 24 Stunden, um sie zu malen. Sie zu ihren Lebzeiten zu malen, war und ist hingegen verboten.

Zweite Station nach einer obligatorischen Kaffee- und Kuchenpause war das Reisebüro von „Pablo Tour„, bei denen wir für die nächsten drei Tage eine Colca-Canyon-Tour gebucht hatten und von der ich in meinem nächsten Blogbeitrag berichten werde. Nach der Tour kehrten wir für einen weiteren Tag, dem Feiertag zu Ehren der Schutzheiligen der Polizei, nach Arequipa zurück und klapperten weitere Teile der Innenstadt ab. Vor allem aber ließen wir unsere vom Canyon wahnsinnig staubigen Schuhe ganz stilvoll von einem der Schuhputzer am zentralen Plaza de Armas putzen. Und am Aussichtspunkt von Yanahuara mussten wir eine weitere Spezialität Arequipas testen, Queso helado, also quasi „Eiskäse“, eine kalte frischkäseartige, sehr süße Masse. Naja, probiert und abgehakt!

Dresden-Nazca-Connection

„Nasca ist das Land des ewigen Sonnenscheins und ich sehe vor mir schon die weiten Horizonte der Pampa, die sich braunrot in der Sommersonne ausbreitet, einsam und geheimnisvoll, ohne eine Spur von tierischem oder pflanzlichem Leben, geschweige denn Menschen. Für viele ist es zu öde und verlassen, für mich ist es mein Land, und ich fühle mich eins mit dem weiten Himmel, dem dunklen steinigen Boden, der weiten Ebene, auf der ein Mensch sich verliert wie ein kleiner unsichtbarer Punkt in der Ferne. Ich spüre bei der Arbeit nicht Hunger und Durst und älter werden.“ Ein Zitat der deutschen Nazca-Linien-Forscherin Maria Reiche, das die Landschaft rund um Nazca, eine 23.000-Einwohner-Stadt etwa 450 km südlich von Lima gelegen, sehr treffend beschreibt. Den Namen Nazca verbindet man eigentlich immer nur mit den Nazca-Linien und tatsächlich, die Stadt an sich ist recht uninteressant, wenn man mal von den leckeren Fruchtsäften und Nachtischen absieht, die wir dort zu uns nahmen. 😉

So hatten Ly und ich für Donnerstagvormittag (25. August) über unser Hostel einen obligatorischen Rundflug über die Nazca-Linien gebucht. Wir wurden von einem Touristenbus direkt am Hostel eingesammelt und zum winzigen Flughafen von Nazca gebracht, wo der Check-In sehr schnell vonstattenging. Nur der Start ließ ewig auf sich warten. Nun ja, genug Zeit, um sich den Dokumentarfilm in „Indiana-Jones-Manier“ über die Geschichte der Nazca-Linien anzuschauen, deren Ursprung und Zweck bis heute nicht eindeutig geklärt sind. Es gibt Theorien darüber, dass die Linien (Geoglyphen = „Scharrbilder“) Teil eines astronomischen Kalenders, Wege zwischen religiösen Kultstätten oder dass die Linien selbst in Rituale eines präkolumbianischen Fruchtbarkeits- oder Wasserkults eingebunden gewesen seien. How ever, nun wurde es ernst und Ly und ich, sowie weitere vier Passagiere begaben uns zu dem kleinen Flugzeug, das uns gleich mit auf einen rund 30 minütigen Rundflug über die mysteriösen Nazca-Linien nehmen sollte. Der Pilot riet uns immer schön den Horizont im Blick zu behalten, denn wir würden die im Sand sichtbaren Figuren stets einmal links und einmal rechts herum umfliegen, damit jeder etwas sehen könne. Manchmal war es etwas schwierig die konkreten Figuren (z. B. Kolibri, Affe, Astronaut, Papagei) überhaupt zu erkennen, dafür sah man aber überall die schnurgeraden Linien, die die Wüstenlandschaft surreal durchkreuzten und die selbst wiederum durch die schnurgerade Straße der „Panamericana Sur“ durchschnitten wurden. Als wir wieder gelandet waren und festen Boden unter den Füßen hatten, war Ly die Freude darüber echt ins Gesicht geschrieben. Ihr Magen hatte den Ausflug im Gegensatz zu meinem wohl nicht so toll gefunden, was wohl auch daran gelegen haben muss, dass ich an diesem Tag auf Anraten des Hostelrezeptionisten auf ein Frühstück verzichtet hatte.

Und woher kommt nun die Dresden-Nazca-Verbindung wie im Titel dieses Blogeintrags steht? Ganz einfach: Die deutsche Forscherin Maria Reiche, die die Nazca-Linien Zeit ihres Lebens erforschte, war 1903 in Dresden geboren worden, wo sie später Mathematik, Physik und Geographie studierte. 1932 verschlug es sie als Hauslehrerin des Deutschen Konsuls nach Cuzco, Peru, und ab 1946 arbeitete sie an der Erforschung der Nazca-Linien, von denen sie durch einen US-amerikanischen Kollegen gehört hatte. Sie zog in eine kleine Hütte nicht unweit der Linien, die man heute als Museum besichtigen kann. Bis zu ihrem Tod im Alter von 95 Jahren in Lima hatte sie zahlreiche deutsche und peruanische Auszeichnungen und schließlich sogar die peruanische Staatsbürgerschaft erhalten. Heute gibt es in Dresden eine „Maria-Reiche-Straße“ und einen Verein, den „Dr. Maria Reiche – Linien und Figuren der Nasca-Kultur in Peru e.V.“, der sich für den Erhalt der Nazca-Linien einsetzt und schon ein paar interessante Aktionen durchgeführt hat. Wieder was gelernt – über die Heimat in der Ferne! 🙂

 

Lima, die facettenreiche peruanische Hauptstadt mitten in der Wüste

Mitten in der Wüste? Lima? Nun ja, nicht ganz. Die peruanische Hauptstadt wird natürlich zum Einen durch den Pazifik begrenzt. Den Rest der Stadt, der dem Landesinneren zugewandt ist, jedoch umgibt tatsächlich eine so genannte Küstenwüste, wie sie für den ganzen peruanischen Küstenstreifen typisch ist. Fährt man also z. B. südlich aus Lima hinaus, wähnt man sich in der Wüste in Marokko, nur, dass die ärmlichen Häuschen, in denen Menschen ohne Strom und fließend Wasser leben, etwas anders aussehen. In meinem „Lonely Planet“ steht zudem, dass Lima nach Ägypten die zweittrockenste Stadt der Welt ist, es also extrem selten regnet. Das merkt man in der Stadt selbst jedoch kaum: Alle Grünanlagen werden bewässert und jeden Morgen hängt ein grieselig-grauer Nebel über der Stadt, der eigentlich nur zu Regenwetter passt.

So verschleierte auch am Morgen des 28. August 2016 als ich in Lima eintraf ein grauer Nebel die ganze Stadt. Die Taxifahrt vom Flughafen ins schicke Viertel Miraflores nahm um Einiges weniger Zeit als unter der Woche in Anspruch, in der Lima regelmäßig einen Verkehrskollaps erleidet. Und: Alles kam mir unglaublich ruhig vor (wie noch sooft auf dieser Perureise), was aber auch nicht weiter verwunderlich ist, wenn man zuletzt in der lauten Karibik gewohnt hat. Den Nachmittag verbrachte ich in der herrlich kühlen „Wintersluft“ (Peru liegt ja auf der Südhalbkugel) draußen und spazierte in Miraflores herum, ein lebhaftes Geschäftsviertel mit vielen Hochhäusern, das recht westlich aussieht und in dem man stets sicher und anonym herumlaufen kann. Sehr angenehm! Abends musste ich mir natürlich gleich die erste archäologische Ausgrabungsstätte anschauen – und daran mangelt es nicht in Peru!: Huaca Pucllana, ein hügelförmiger Zeremonialort der Wari-Kultur (ca. 600-1100), der komplett aus Lehmziegeln erbaut worden war. Das Interessante daran: Die Lehmziegel sind hochkant wie Bücher in einem Bücherregal angeordnet, wobei die Schlitze zwischen ihnen den Mauern genügend Flexibilität geben, wenn ein Erdbeben die Stadt heimsucht. Davon gibt es leider nicht wenige – die bisher Schlimmsten haben sich in den Jahren 1746 und 1940 ereignet.

Bis Ly am Montagabend eintraf, mit der ich drei Wochen unterwegs sein sollte, nutzte ich den Tag noch, um die an Miraflores angrenzenden Stadtviertel kennenzulernen: das Bankenviertel San Isidro und La Victoria mit einigen Parks und Museen. Da ich nur zu Fuß unterwegs war, bekam ich langsam einen Eindruck der gigantischen Dimensionen dieser Stadt. Wie gut, dass auf dem grünen Mittelstreifen der Hauptader Avenida Arequipa, die Miraflores mit dem Zentrum Limas verbindet, bereits Radwege angelegt worden waren. Doch leider fahren noch viel zu wenige Leute Fahrrad als dass das einen positiven Effekt auf das allabendliche Verkehrschaos haben könnte. Als Ly angekommen war und wir am nächsten Tag Limas Zentrum besichtigt hatten, brauchten wir mit dem öffentlichen Bus zurück nach Miraflores über zwei Stunden und das, obwohl wir am Mittag für diese Strecke gerade einmal knappe 30 Minuten gebraucht hatten. Taxifahrer Gerardo, mit dem ich mich angefreundet hatte, erzählte mir von der „Metro Lima“, einer Art U-Bahn, die zur Lösung des Verkehrsproblems beitragen soll, bisher aber leider nur eine Linie aufweist und zudem immer noch aufgrund der hohen Kosten umstritten ist. Ist wahrscheinlich ein ähnlicher Tropfen auf den heißen Stein wie die in Casablanca und Rabat eingeführte Straßenbahn…

Limas Stadtzentrum präsentierte sich uns morgens in einer grauen Nebelsuppe und auch die Besichtigung der Kathedrale sowie später des San-Francisco-Klosters stimmte uns eher depressiv: Die Kirchbauten präsentierten sich dunkel mit vielen leidenden Heiligen- und Christusfiguren, die Katakomben des Klosters mit vielen Knochenüberresten. Lustiger wurde es erst beim Mittagessen als wir zum ersten Mal eines dieser kleinen, aber feinen peruanischen Restaurants aufsuchten und nun das Tagesmenü mit lauter unverständlichen Essensbezeichnungen vor uns hatten. Wir ließen uns alles vom Kellner erklären, doch bei vielen Sachen scheiterte ich mit meinen Spanischkenntnissen und wir mussten einfach auf gut Glück bestellen. Das erste Ceviche schmeckte sehr lecker; die komischen Innereienstückchen auf Lys Teller eher weniger. Aber, wer nicht wagt, der nicht gewinnt! 😉

Nach der ersten Kennenlernrunde mit Lima machten wir uns auf zu unserer dreiwöchigen Gringo-Trail-Tour in den Süden Perus, wie ich in meinen nächsten Blogeinträgen berichten werde. Nach gut drei Wochen waren wir zurück in Lima, da Ly von dort aus ihren Rückflug nach Deutschland antreten würde. Doch zuvor musste noch ein Highlight abgeklappert werden: Die MISTURA, Food Festival und Essensmesse, die zufälligerweise gerade stattfand. Lima gilt nämlich mittlerweile kulinarisch gesehen als DAS Ziel in ganz Südamerika und die peruanische Küche generell gilt als eine der abwechslungsreichsten auf dem ganzen Kontinent. Auf der MISTURA präsentierten sich sämtliche Regionen Perus mit einem Stand und natürlich den entsprechenden Spezialitäten. Kaffeeschlückchen, Schokoladenstückchen und andere Proben wurden einem nur so hinterher geworfen und die Aussteller konnten es gar nicht verstehen, wie wir gegen Ende unseres Besuchs ihre Häppchen ablehnen konnten. Wir brauchten dann erst einmal etwas Herzhaftes und kauften uns mit unseren Essensmarken zwei leckere Fischgerichte, bei denen natürlich auch Mais nicht fehlen durfte.

Am nächsten Tag schauten wir uns noch das wirklich sehr schön und ansprechend gestaltete Larco-Museum mit einer riesigen präkolumbianischen Keramik- (inklusive ziemlich expliziter Erotikkeramika) und Schmucksammlung an. Dann hieß es auch schon Abschied von Ly nehmen und so verbrachte ich noch ein paar Tage allein in Lima. Ich besuchte das kostenlose und hochinteressante Nationalmuseum u.a. mit einer Fotoausstellung zum Terror des „Leuchtenden Pfads„, sowie das Künstler- und Bohème-Viertel Barranco, in dem man meint nicht mehr in Lima zu sein, so kleinstädtisch, ja fast dörflich wirkt es. Dort gibt es übrigens ein tolles Museum des peruanischen Fotografen Mario Testino, „MATE“ genannt, das man sich nicht entgehen lassen sollte!

Alles in allem: eine sehr facettenreiche Stadt mit vielen Gesichtern, die es sich auf jeden Fall zu besichtigen lohnt! Vor allem, wenn am Nachmittag wie auf Knopfdruck die Sonne angeschaltet wird. 🙂