Ayacucho. Peruanische Geschichte auf Schritt und Tritt

Den meisten Peruanern ist die Andenstadt Ayacucho vor allem wegen ihrer Feierlichkeiten zur Semana Santa (Ostern) bekannt, wenn in den Bergen rund um die Stadt das Leben Jesus Christus‘ aufwendig inszeniert und nachgespielt wird. Die religiöse Verankerung Ayacuchos lässt sich nicht verleugnen, findet sich doch an fast jeder Ecke der Stadt eine Kirche. Ich musste bei diesem Thema an einen peruanischen Film denken, den ich einmal bei der Berlinale 2014 gesehen hatte und der gut in einem Andendorf rund um Ayacucho spielen könnte: „Madeinusa“ von Claudia Llosa

In Ayacucho nahm jedoch auch die maoistische Terrororganisation „Leuchtender Pfad“ (Sendero Luminoso) ihren Anfang, denn ihr Begründer Abimael Guzmán war Professor für Philosophie an der hiesigen Universität gewesen und hatte dort erste Mitstreiter unter seinen Studenten rekrutieren können. Ich besuchte, um etwas mehr über diese Organisation zu erfahren, das Museo de la Memoria (Museum der Erinnerung), das sich den Opfern des „Leuchtenden Pfades“ widmet und vom Verein ANFASEP (Asociación Nacional de Familiares de Secuestrados, Detenidos y Desaparecidos del Perú – Nationalverband der Angehörigen von Entführten, Verhafteten und Verschwundenen Perus) betrieben wird. Schon in einigen Gesprächen mit Peruanern war ich immer wieder auf dieses Thema gestoßen und es gab keinen, der mir nicht erzählte, dass er oder jemand in der Familie aufgrund des Terrorismus‘ in den 80ern und 90ern und der dazukommenden Wirtschaftskrise das Land verlassen oder zumindest aus den Bergen fortgegangen sei. Wer sich mehr zu diesem Thema belesen will, dem kann ich den Artikel zum „Leuchtenden Pfad“ im „GEO Special Peru und Bolivien“ empfehlen. Der Artikel ist zwar schon etwas älter, das tut aber nichts zur Sache. Bis heute ist die Organisation aktiv, wie man z. B. in diesem FAZ-Artikel vom August letzten Jahres nachlesen kann: „Der Sklavenstaat von Genosse José„.

Am zweiten Tag in Ayacucho wollte ich eine weitere Reise in die Vergangenheit der Region unternehmen und raus in die Umgebung fahren: Zunächst besichtigte ich eine Ausgrabungsstätte der Wari, einer prä-inkaischen Kultur, deren Überreste mitten in einer trockenen, bizarren Kakteenlandschaft lagen.

Von der Wari-Ausgrabungsstätte aus schnappte ich einen weiteren Minibus, um ins Dörfchen Quinua zu fahren, von wo es nur ein 20-minütiger Fußmarsch bis zum Denkmal der Pampas de Ayacucho war. Das Denkmal, ein weißer Obelisk, war bereits von Weitem zu sehen und war umringt von einer großen peruanischen Touristengruppe, die alle, so wie ich, einmal hinaufsteigen und den Blick in die Umgebung genießen wollten. Der Obelisk erinnert an die Schlacht bei Ayacucho am 9. Dezember 1824, bei der die Spanier den Peruanern unterlagen und somit die Unabhängigkeit Perus besiegelt wurde. Auf dem Weg zurück nach Quinua schaute ich in einige kleine Läden und Künstlerhöfe hinein. Hier, in weißen Häuschen entlang einer gepflasterten Straße, werden Keramikarbeiten, wie z. B. Figuren oder Minikirchen, gefertigt, die man sich einer andinen Tradition zufolge als Glücksbringer auf’s Dach stellt. Aus Cuzco und Umgebung waren mir noch die Tonarbeiten der von zwei Stieren flankierten Kreuze (Torito de Pucará) in Erinnerung geblieben, die sich die Bevölkerung ebenso als Glücksbringer auf’s Dach stellte. Ayacucho selbst hatte übrigens auch eine typische Handarbeit aufzuweisen, so genannte retablos. Das sind bunt bemalte Flügelaltare aus Holz, in deren Inneren mit Schnitzereien Szenen des kirchlichen oder alltäglichen Lebens dargestellt sind. Davon konnte ich mir einige im kostenlosen Volkskunstmuseum (Museo de Arte Popular) anschauen.

Gringo-Quote (fast) Null – Unterwegs im Zentralen Hochland rund um Huancayo und Huancavelica

Noch eine Woche Peru hatte ich nach drei Wochen „Gringo-Trail“ vor mir. Ly reiste am Samstag, den 10. September, ab und so überlegte ich mir, wohin meine Reise gehen könnte. Der Regenwald, in Peru Selva genannt, reizte mich sehr, aber aufgrund der riesigen Entfernungen im Land wollte ich dies lieber einmal angehen, wenn ich mehr Zeit dazu haben würde. Die nördliche Küste fand ich auch interessant, doch dann stolperte ich über die Aussage in meinem „Lonely Planet“, dass sich das Zentrale Hochland durch eine „fast völlige Abwesenheit von anderen Reisenden“ auszeichne, und mein Interesse war geweckt. So nahm ich Sonntagmittag den Bus von Lima aus in die Anden hinein nach Huancayo. Aufgrund von Bauarbeiten und Stau kamen wir erst am späten Nachmittag in der etwa 400.000-Einwohner-Stadt an. Kurz Zeit, um noch über den Sonntagsmarkt zu schlendern und den Plaza de Armas im Zentrum abzuklappern. Naja, beeindruckt hat mich die Stadt nicht. Aber immerhin hatte ich auf dem Weg ins Zentrum schon eine gastronomisch interessante Straße nahe meines Hotels entdeckt, die sich witzigerweise „Calle de la MISTURA“, also entsprechend der Essmesse, die wir in Lima besucht hatten, nannte. Ich wollte nun endlich einmal eines dieser typischen China-Restaurants Perus, genannt „Chifa“, testen. Gesagt, getan. In der Straße gab es zahlreiche Chifas, deren Menüs sich nicht wesentlich voneinander unterschieden, und so wählte ich ein kleines Restaurant, wo ich mich, um mich etwas vor der nächtlichen Kälte zu schützen, in den hinteren Raum setzen konnte. Ich bestellte ein Gericht aus in roter süß-saurer Soße gedünstetem Obst mit Reis und Hühnerfleisch. Klingt ungewöhnlich, schmeckte aber gut. Direkt nach dem Essen machte ich mich jedoch auf zum Hotel, denn der laut plärrende Fernseher (der in Peru eigentlich fast in jedem Restaurant läuft) ließ nicht gerade eine gemütliche, entspannte Atmosphäre aufkommen. Außerdem musste ich am nächsten Morgen früh aufstehen. Ich wollte nämlich den Zug nach Huancavelica nehmen und der fuhr bereits 6:30 Uhr los.

Am nächsten Morgen war ich pünktlich am Bahnhof und reihte mich in eine lange Schlange ein, um das spottbillige Zugticket für den „Tren Macho“ zu kaufen: umgerechnet 2,60 € für mehr als fünf Stunden Zugfahrt bis Huancavelica. Außer mir sah ich tatsächlich auch nur einen einzigen weiteren Gringo. Der Zug war ziemlich rustikal, die Sitzbänke aus Holz hart und anfangs war es vor allem kalt, da alle die Fenster während der Fahrt offen ließen. Für manche, die Essen gebucht hatten, wurde ein voller Teller herzhaftes Frühstück mit Kartoffeln, Reis und Nudeln serviert, den sie, Chapeau Chapeau, während der ruckeligen Fahrt auf dem Schoß aßen. Wir fuhren die ganze Zeit in einem Tal und zeitweilig an einem Fluss entlang, so dass es immer etwas Interessantes zu gucken gab. Am zeitigen Nachmittag trafen wir in Huancavelica ein, ein 40.000-Einwohner-Städtchen mit schönen Kirchen in Kolonialarchitektur und mineralischen Quellen. Dort durfte man allerdings nur im Badeanzug und nicht im Bikini baden gehen und ausleihen wollte ich mir solch einen Badeanzug dann auch nicht. So schlenderte ich in der Stadt umher, kaufte ein paar Sachen auf den abends überall auftauchenden Straßen“ständen“ (Tücher auf dem Boden) und unterhielt mich ziemlich lange mit einem Tante-Emma-Ladenbesitzer, der mir über die Geschichte dieser ärmsten Gegend von Peru erzählte, in der besonders der Terror des „Leuchtenden Pfades“ (Sendero Luminoso) in den 80er und 90er-Jahren gewütet hatte.

Huancavelica ist noch wegen einer weiteren Sache bekannt, der Santa-Barbara-Mine, die sich hoch in den Bergen über der Stadt befindet. Ich machte mich am nächsten Tag auf den Weg dorthin und konnte nach einigem Suchen das verlassene Dorf finden, das damals als die Mine 1566 von den Spaniern eröffnet worden war, für die bis zu 3.000 indigenen Minenarbeiter gebaut worden war. Diese bauten Quecksilber in der Mine ab und starben in großer Zahl aufgrund der giftigen Gase, die das Schwermetall beim Abbau absonderte. Als die Mine 1786 einstürzte wurde sie komplett geschlossen und ist bis heute samt dazugehörigem Geisterdorf bestehen geblieben. Es gibt wohl Bestrebungen den Ort als UNESCO-Weltkulturerbe schützen zu lassen.

Von der Mine aus konnte ich in einem Schlenker durch ein weiteres Dorf und an vielen Lamas vorbei wieder zurück nach Huancavelica laufen. Von dort aus nahm ich gegen Mitternacht den Nachtbus, um nach Ayacucho weiterzufahren.

Lima, die facettenreiche peruanische Hauptstadt mitten in der Wüste

Mitten in der Wüste? Lima? Nun ja, nicht ganz. Die peruanische Hauptstadt wird natürlich zum Einen durch den Pazifik begrenzt. Den Rest der Stadt, der dem Landesinneren zugewandt ist, jedoch umgibt tatsächlich eine so genannte Küstenwüste, wie sie für den ganzen peruanischen Küstenstreifen typisch ist. Fährt man also z. B. südlich aus Lima hinaus, wähnt man sich in der Wüste in Marokko, nur, dass die ärmlichen Häuschen, in denen Menschen ohne Strom und fließend Wasser leben, etwas anders aussehen. In meinem „Lonely Planet“ steht zudem, dass Lima nach Ägypten die zweittrockenste Stadt der Welt ist, es also extrem selten regnet. Das merkt man in der Stadt selbst jedoch kaum: Alle Grünanlagen werden bewässert und jeden Morgen hängt ein grieselig-grauer Nebel über der Stadt, der eigentlich nur zu Regenwetter passt.

So verschleierte auch am Morgen des 28. August 2016 als ich in Lima eintraf ein grauer Nebel die ganze Stadt. Die Taxifahrt vom Flughafen ins schicke Viertel Miraflores nahm um Einiges weniger Zeit als unter der Woche in Anspruch, in der Lima regelmäßig einen Verkehrskollaps erleidet. Und: Alles kam mir unglaublich ruhig vor (wie noch sooft auf dieser Perureise), was aber auch nicht weiter verwunderlich ist, wenn man zuletzt in der lauten Karibik gewohnt hat. Den Nachmittag verbrachte ich in der herrlich kühlen „Wintersluft“ (Peru liegt ja auf der Südhalbkugel) draußen und spazierte in Miraflores herum, ein lebhaftes Geschäftsviertel mit vielen Hochhäusern, das recht westlich aussieht und in dem man stets sicher und anonym herumlaufen kann. Sehr angenehm! Abends musste ich mir natürlich gleich die erste archäologische Ausgrabungsstätte anschauen – und daran mangelt es nicht in Peru!: Huaca Pucllana, ein hügelförmiger Zeremonialort der Wari-Kultur (ca. 600-1100), der komplett aus Lehmziegeln erbaut worden war. Das Interessante daran: Die Lehmziegel sind hochkant wie Bücher in einem Bücherregal angeordnet, wobei die Schlitze zwischen ihnen den Mauern genügend Flexibilität geben, wenn ein Erdbeben die Stadt heimsucht. Davon gibt es leider nicht wenige – die bisher Schlimmsten haben sich in den Jahren 1746 und 1940 ereignet.

Bis Ly am Montagabend eintraf, mit der ich drei Wochen unterwegs sein sollte, nutzte ich den Tag noch, um die an Miraflores angrenzenden Stadtviertel kennenzulernen: das Bankenviertel San Isidro und La Victoria mit einigen Parks und Museen. Da ich nur zu Fuß unterwegs war, bekam ich langsam einen Eindruck der gigantischen Dimensionen dieser Stadt. Wie gut, dass auf dem grünen Mittelstreifen der Hauptader Avenida Arequipa, die Miraflores mit dem Zentrum Limas verbindet, bereits Radwege angelegt worden waren. Doch leider fahren noch viel zu wenige Leute Fahrrad als dass das einen positiven Effekt auf das allabendliche Verkehrschaos haben könnte. Als Ly angekommen war und wir am nächsten Tag Limas Zentrum besichtigt hatten, brauchten wir mit dem öffentlichen Bus zurück nach Miraflores über zwei Stunden und das, obwohl wir am Mittag für diese Strecke gerade einmal knappe 30 Minuten gebraucht hatten. Taxifahrer Gerardo, mit dem ich mich angefreundet hatte, erzählte mir von der „Metro Lima“, einer Art U-Bahn, die zur Lösung des Verkehrsproblems beitragen soll, bisher aber leider nur eine Linie aufweist und zudem immer noch aufgrund der hohen Kosten umstritten ist. Ist wahrscheinlich ein ähnlicher Tropfen auf den heißen Stein wie die in Casablanca und Rabat eingeführte Straßenbahn…

Limas Stadtzentrum präsentierte sich uns morgens in einer grauen Nebelsuppe und auch die Besichtigung der Kathedrale sowie später des San-Francisco-Klosters stimmte uns eher depressiv: Die Kirchbauten präsentierten sich dunkel mit vielen leidenden Heiligen- und Christusfiguren, die Katakomben des Klosters mit vielen Knochenüberresten. Lustiger wurde es erst beim Mittagessen als wir zum ersten Mal eines dieser kleinen, aber feinen peruanischen Restaurants aufsuchten und nun das Tagesmenü mit lauter unverständlichen Essensbezeichnungen vor uns hatten. Wir ließen uns alles vom Kellner erklären, doch bei vielen Sachen scheiterte ich mit meinen Spanischkenntnissen und wir mussten einfach auf gut Glück bestellen. Das erste Ceviche schmeckte sehr lecker; die komischen Innereienstückchen auf Lys Teller eher weniger. Aber, wer nicht wagt, der nicht gewinnt! 😉

Nach der ersten Kennenlernrunde mit Lima machten wir uns auf zu unserer dreiwöchigen Gringo-Trail-Tour in den Süden Perus, wie ich in meinen nächsten Blogeinträgen berichten werde. Nach gut drei Wochen waren wir zurück in Lima, da Ly von dort aus ihren Rückflug nach Deutschland antreten würde. Doch zuvor musste noch ein Highlight abgeklappert werden: Die MISTURA, Food Festival und Essensmesse, die zufälligerweise gerade stattfand. Lima gilt nämlich mittlerweile kulinarisch gesehen als DAS Ziel in ganz Südamerika und die peruanische Küche generell gilt als eine der abwechslungsreichsten auf dem ganzen Kontinent. Auf der MISTURA präsentierten sich sämtliche Regionen Perus mit einem Stand und natürlich den entsprechenden Spezialitäten. Kaffeeschlückchen, Schokoladenstückchen und andere Proben wurden einem nur so hinterher geworfen und die Aussteller konnten es gar nicht verstehen, wie wir gegen Ende unseres Besuchs ihre Häppchen ablehnen konnten. Wir brauchten dann erst einmal etwas Herzhaftes und kauften uns mit unseren Essensmarken zwei leckere Fischgerichte, bei denen natürlich auch Mais nicht fehlen durfte.

Am nächsten Tag schauten wir uns noch das wirklich sehr schön und ansprechend gestaltete Larco-Museum mit einer riesigen präkolumbianischen Keramik- (inklusive ziemlich expliziter Erotikkeramika) und Schmucksammlung an. Dann hieß es auch schon Abschied von Ly nehmen und so verbrachte ich noch ein paar Tage allein in Lima. Ich besuchte das kostenlose und hochinteressante Nationalmuseum u.a. mit einer Fotoausstellung zum Terror des „Leuchtenden Pfads„, sowie das Künstler- und Bohème-Viertel Barranco, in dem man meint nicht mehr in Lima zu sein, so kleinstädtisch, ja fast dörflich wirkt es. Dort gibt es übrigens ein tolles Museum des peruanischen Fotografen Mario Testino, „MATE“ genannt, das man sich nicht entgehen lassen sollte!

Alles in allem: eine sehr facettenreiche Stadt mit vielen Gesichtern, die es sich auf jeden Fall zu besichtigen lohnt! Vor allem, wenn am Nachmittag wie auf Knopfdruck die Sonne angeschaltet wird. 🙂