Ein Couchsurfer kommt selten allein – Ausflug nach Erriadh und Ajim

Am zweiten Tag meines Djerba-Aufenthaltes fasste ich den kühnen Plan eine Radtour auf der Insel zu machen. Erste Herausforderung war es an ein Fahrrad zu kommen. Laut meinem Hotel und laut der Touristeninformation in Houmt-Souk gab es angeblich keine Leihfahrräder in der Stadt, sondern nur in der östlich gelegenen Zone Touristique, d. h. dem Küstenstreifen aus Betonburgen alias Pauschalhotels, Souvenirshops und Casinos. Der Taxifahrer hatte eine ungefähre Ahnung wo es Fahrräder auszuleihen gab und fuhr mich (wie ich erst später anhand einer Karte nachvollzog) bis fast ans östliche Ende de Zone Touristique, wo er mich bei einem Squad-Verleih absetzte, der auch Fahrräder verlieh. Der Verleih für zwei Tage war schnell geregelt und so saß ich schon kurze Zeit später auf einem vermutlich schon längere Zeit nicht mehr genutzten Rad und strampelte die Hauptstraße zurück Richtung Houmt Souk. Der schmale Sattel des Rads entpuppte sich als recht unbequem und auch die Lenkerhöhe musste ich bei zweimaligen Stopps in Fahrradwerkstätten noch einmal regulieren lassen. Aber nun gut, eine Auswahl hatte ich ohnehin nicht gehabt und ich war froh, dass es an diesem Tag nicht so heiß war und eine frische Brise wehte.

Mein Ziel sollte die südlich der Inselhauptstadt gelegene Kleinstadt Erriadh sein, in der noch heute viele der auf Djerba verbliebenen Juden leben und in der es eine Synagoge, La Ghriba („die Fremde“), gibt. Diese Synagoge erlangte 2002 traurige Berühmtheit als davor ein mit Flüssiggas beladener LKW explodierte, wobei 21 Menschen, darunter 14 Deutsche, starben. Als ich an der Synagoge ankam, war diese durch eine Polizeisperre abgesichert. Ich stellte mein Fahrrad auf den Parkplatz und lief bis zum Eingang der von außen unscheinbar wirkenden Synagoge. Drinnen zeigte sich ein ganz anderes Bild: bunte Kacheln, arkadenhafte türkis-weiß angestrichene Pfeiler, die mich an die Mezquita-Kathedrale von Córdoba erinnerten, bunt bemalte Holzdecken, ein mit rot-goldenen Stoffen verhängter Thoraschrein und Beschriftungen sowohl auf Hebräisch als auch Arabisch. Faszinierend! Viel Zeit zum Staunen hatten ich und die anderen Besucher nicht, denn es war bereits 13 Uhr und der mürrisch wirkende Synagogenwächter wollte gerne in die Mittagspause gehen. Immerhin konnte ich mir noch die danebenliegende Pilgerherberge ansehen, denn La Ghriba ist jedes Jahr 33 Tage nach Ostern Ziel der größten jüdischen Wallfahrt in ganz Nordafrika. Neben meiner Wenigkeit war auch noch eine Gruppe Reisender mit den in den Hof der Herberge hinübergelaufen, die mich fragte, ob ich ein Foto von ihnen machen könne. Wie sich im Gespräch herausstellte, waren es alles Couchsurfer: zwei aus Tunesien, ein Algerier, eine Iranerin und ein Vietnamese! Das passte ja mal wieder wie die Faust auf’s Auge, hatte ich doch diesmal im Vorfeld meiner Reise keine Couchsurfing-Leute kontaktiert, weil ich keine Lust und keine Zeit gehabt hatte. Aber so spielte mir der Zufall in die Hände und wir beschlossen gleich alle zusammen Mittagessen zu gehen.

Am Nachmittag drehten wir eine Runde im „Djerbahood“ genannten Ortsteil von Erriadh, in dem gerade ein Kulturfestival stattfand. Choukri, der selbst aus Djerba stammt, zeigte uns zudem noch zahlreiche Wandmalereien, die sich hinter jeder Ecke von Djerbahood verbargen – mal in mehr, mal in weniger gutem Zustand. Zwei Tage später sollte ich übrigens noch einmal nach Djerbahood kommen, um weitere Wandmalerein zu fotografieren, so dass an dieser Stelle Fotos von beiden Tagen zu sehen sind.

Für den Abend hatten wir uns zu einer Bootsfahrt vom südlich gelegenen Ajim aus verabredet, wo ein Cousin von Choukri ein Boot besaß und bereit war uns zum Sonnenuntergang zu einer unbewohnten Insel herüberzuschippern. Auf der Insel herrschte eine ganz eigene Stimmung: Über unseren Köpfen kreisten laut kreischende Möwen und im niedrigen Gestrüpp musste man aufpassen nicht in eines der Möwennester zu treten. Nach dem Bootsausflug und einem kleinen Umtrunk in der „Strandbar“ von Ajim kehrten wir per Auto Richtung Houmt Souk zurück und fuhren zum „Centre International Méditerranéen“, einem riesigen Haus, das einem gewissen Professor Yamoun gehört, und in dem alle Couchsurfer übernachteten. Mittlerweise war es bereits gegen 23 Uhr, was Salim, den Algerier, jedoch nicht davon abhielt, auf die Schnelle für uns alle zu kochen. Innerhalb von 30 Minuten hatte er ein riesiges Menü auf den Tisch gezaubert, von dem wir alle gar nicht mehr so viel essen konnten. Bevor ich zurück ins Hotel fuhr, musste ich mich von den meisten der Reisegruppe auch schon wieder verabschieden, da sie am nächsten Tag zurück nach Tunis fuhren. Es blieb eigentlich nur Salim noch da und mit ihm und Professor Yamoun sollte ich an einem der kommenden Tage noch eine spannende Tour durch Südtunesien unternehmen. Doch dazu mehr im übernächsten Blogeintrag!

P.S.: Danke an meine Co-Fotografen!

Die besten Blogartikel nun als Buch erhältlich!

Buchveröffentlichung_Cover

2007 bis 2016 – neun Jahre – eine lange Zeit! Die Zeitspanne, die ich nun schon meinen Reiseblog schreibe, dem ich vor Kurzem nun auch die eigene URL, „Andarina vom Dienst“, gegönnt habe. Die besten Blogartikel habe ich nun zusammengestellt und in einem Buch veröffentlicht. Es ist zum Einen bei epubli erschienen und kann im Shop dieses Verlags für 24,99 € bestellt werden. Zum Anderen ist es im Verlag bloggingbooks erhältlich und kann für satte 54,80 € in dessen Shop erworben werden (leider ist das Buch aufgrund der Layoutvorgaben sehr dick und somit sehr teuer geworden).

Es war hochinteressant und teilweise überraschend für mich meine alten Blogeinträge noch einmal zu lesen. An manchen Stellen fragte ich mich „Habe das wirklich ich geschrieben?“ oder „Habe ich das wirklich erlebt?“. Aber gerade diese Fragen zeigen auch, wie wichtig es für meine Erinnerung ist, diesen Reiseblog zu schreiben, denn sonst wären viele Erlebnisse einfach in Vergessenheit geraten. In diesem Sinne wünsche ich eine angenehme und inspirierende Lektüre und freue mich auf euer Feedback zu meiner ersten Buchveröffentlichung!

Iran-Etappe 6: Teheran, der Moloch am Fuße des Elburs‘

Gegen Teheran mutet Berlin fast wie ein Dorf an – so weist die iranische Hauptstadt etwa 15 Mio. Einwohner (Großraum Teheran) auf und so ist man 2-3 Stunden von Süd nach Nord bzw. Ost nach West mit Bus oder Auto unterwegs und befindet sich immer noch in der Stadt! Wahnsinn! Auch der Verkehr und die Luftverschmutzung sind dementsprechend wahnsinnig; es kam mir noch nie so gefährlich vor eine Straße zu überqueren wie in Teheran! Auch unser Ankunftstag entpuppte sich als nicht ganz ungefährlich: Ein Sandsturm zog, wie bereits einige Tage zuvor, durch die Stadt und fegte so Einiges (z.B. Satellitenschüsseln) von den Dächern herunter. Zum Glück jedoch ist niemanden aus unserer Gruppe etwas passiert!

Teheran hatte trotz der Menschenmassen, des Smogs und des Verkehrslärms auch ein paar schöne Ecken bieten, die wir innerhalb der nächsten Woche entdecken sollten: So besichtigten wir z. B.  am ersten Tag den Golestanpalast, einst Regierungssitz der Qadjarendynastie (1779-1925), der sich in Laufweite unseres Hotels befand. Man konnte sehen, dass der letzte Shah in seinem Modernisierungswahn auch vor dem alten, traditionellen Kern Teherans nicht Halt gemacht hatte: Direkt hinter dem Palast ragten „moderne“, klotzartige Verwaltungsgebäude empor. In einer Führung durch den alten Stadtkern Teherans am nächsten Tag sollten wir auch nur noch vereinzelt Zeugnisse an den Häuserfassaden finden, die auf die kulturelle und architektonische Blütezeit der Stadt Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts verwiesen: So soll es in der Ferdowsi-Straße vor der Islamischen Republik einst etwa 100 Kinos gegeben haben! Wir sahen ein Kino von außen, zu dem uns erklärt wurde, dass es von den Vertretern des neuen Regimes (Islamische Republik) in der Revolutionszeit angezündet worden war, weil es „schädlichen westlichen Einfluss“ in den Iran bringe… Von dort aus bogen wir in die „Berlan Alley“ (also „Berlin Alley“) ein und standen bald an der deutschen Botschaft, vor der sich eine lange Schlange ausreisewilliger Iraner angesammelt hatte. Deutschland steht als Immigrationsland an erster Stelle und viele Iraner versuchen dort einen Studienplatz zu bekommen. Die Mittagspause verbrachten wir im „Naderi“-Café, einem Relikt aus Shahzeiten, das ein Künstler- und Intellektuellen-Treffpunkt gewesen war und dessen betagte Kellner auch noch aus dieser Zeit stammen 😉 Dort, wie auch in vielen anderen Cafés und Restaurants Teherans, konnte man eine gewisse Nostalgie nach dem Teheran der Shahzeit nachspüren: Überall an den Wänden hingen Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus dieser Zeit und Sören zeigte uns passend dazu ein nostalgisches Musikvideo.

Teheran weist ein starkes Nord-Süd-Gefälle auf und das nicht nur geografisch, sondern auch stadtsoziologisch: Der Süden gilt als ärmer, der Norden als reicher Teil der Stadt, in dem auch die Lust besser und das Wasser sauberer ist, da dieser Teil näher an den Bergen liegt. Im Norden statteten wir dem Bazar, sowie dem Kinomuseum mit seinem herrlichen Garten und dem fancy Café einen Besuch ab. Das erste Lied, das wir beim Betreten des Cafés hörten, war „Happy“ von Pharrell Williams, zu dem iranische Jugendliche ein Musikvideo nachgedreht hatten und dafür im Gefängnis gelandet waren, weil es gegen die öffentliche Moral verstieß …

Am Abend fuhren wir weiter an den Fuß der Berge, einem beliebten Ausflugsziel auch bei Iranern, um dem Stadtmief zu entkommen. Restaurant um Restaurant und Verkaufsstand an Verkaufsstand säumten den Weg nach oben und gaben v.a. abends mit schöner Beleuchtung einen tolles Bild ab.

In den folgenden Tagen besuchten wir noch den riesigen Friedhof Behesht-e Zahra im Süden Teherans, in dem eine große Partie den Gefallenen des Iran-Irak-Kriegs gewidmet ist und man auf Schritt und Tritt von schauerlichen Kriegsgesängen aus den Lautsprechern begleitet wird. Auf diesem Friedhof hatte Khomeini 1979, als er aus dem französischen Exil zurückkehrte und die Islamische Revolution in Gang setzte, seine berühmte Rede gehalten. In der Nähe des Friedhofs befindet sich zudem noch das Mausoleum Khomeinis. Sein Grab ist erstaunlich schlicht gehalten (denn er wollte ja auch immer volksnah sein), aber bei der Infrastruktur drumherum würde sich Khomeini wahrscheinlich im Grabe rumdrehen: Eine hässliche, moderne Einkaufsmall mit Fast-Food-Restaurants und kitschigen Souvenirläden für die Pilger. Und es wird fleißig weiter gebaut! Ich möchte nicht wissen, wieviel das alles kostet!

Nachdem wir in Yazd ja bereits Bekanntschaft mit dem Zoroastrismus gemacht hatten, bat Teheran die Gelegenheit sich mit zwei weiteren monotheistischen Religionen im Land auseinanderzusetzen. Wir besuchten Sonntags einen armenisch-orthodoxen Gottesdienst und Dienstag in aller Herrgottsfrühe eine Synagoge zum Morgengebet. Vor allem Letzteres war unglaublich spannend für mich, da ich noch nie bei einem jüdischen Gottesdienst dabei gewesen war. Wir hatten danach auch noch Zeit uns mit den Gemeindemitgliedern beim Frühstück (Fisch & Coca Cola) zu unterhalten und mehr über die jüdische Gemeinde im Iran zu erfahren. So gibt es, wie auch für die Zoroastrier und die Christen, gesonderte Schulen für jüdische Kinder. Anders als in Deutschland war die Synagoge außen auch nicht überwacht und uns wurde versichert, dass man sich auf der Straße offen als Jude zeigen könne (als Mann mit Kippa) und keine Probleme hätte. Angesprochen auf das schwierige Verhältnis zwischen Iran und Israel betonte Einer aus der Gemeinde, dass sie als jüdische Iraner unpolitisch seien und sich nicht für den Staat Israel interessierten. Im Laufe des Gesprächs stellte sich jedoch heraus, das viele Gemeindemitglieder familiäre Beziehungen nach Israel haben und einer oft mit seinem Bruder auf Hebräisch skypte und sich auch mit einigen aus unserer Gruppe auf Hebräisch unterhalten konnte. Hier tat sich also ein vielschichtiges Religionsmosaik vor unseren Augen auf!

Neben den Gesprächspartnern in den Religionsgemeinschaften hatten wir viele weitere interessante Gesprächsrunden z. B. mit dem deutschen Geschäftsführer der AHK Iran, der iranischen Leiterin des „Arian Kulturhaus“, einem deutschen Kulturinstitut („Arian“ wird im Iran nicht als ein negativ besetzter Begriff aufgefasst, sondern meint „iranisch“), sowie einem Professeur der Teheraner Uni, der uns die Geopolitik Irans näherbrachte. Neben diesen differenzierten Einblicken gab es auch Regimepropaganda vom Feinsten: Wir hatten die Gelegenheit die ehemalige US-Botschaft zu besichtigen, in der 1979 bis 1981  52 US-amerikanische Geiseln von iranischen Studenten festgehalten worden waren (hierzu gab es vor Kurzem den Film „Argo„). Die anti-amerikanische Ausstellung im Innern zeigte die USA im schlechtestmöglichen Licht , auch wenn die meisten Exponate recht zusammengebastelt aussahen. Die ausgestellten Spionagemaschinen erinnerten mich stark an eine Ausstellung zu Stasi-Abhörmethoden, die ich einmal in Leipzig  in der „Runden Ecke“ gesehen hatte. Auch im Foltermuseum, einem ehemaligen Foltergefängnis aus der Shahzeit, war viel gebastelt und Blut auf die Ausstellungspuppen aufgemalt worden. Trotz der recht einseitigen Darstellung war es erschreckend die Foltermethoden erläutert zu bekommen und die Gefängniszellen zu sehen. Natürlich durften wir hier keinerlei kritische Fragen nach den derzeitigen Foltergefängnissen im Iran stellen und mussten unsere Fragen herunterschlucken …

Nach einer ganzen Woche Teheran ging es für mich dann weiter nach Istanbul, wo ich noch drei Tage verbrachte und mich langsam wieder gen Westen vortastete. Doch dazu mehr im nächsten Beitrag!

 

 

Iran-Etappe 5: Abiyane, Kashan und Qom

Nach Isfahan setzten wir unsere Fahrt gen Norden fort und legten einen Mittagsstop im Bergdorf Abiyane ein, das berühmt ist für seine rötliche Felsumgebung (auch dies erinnerte mich wieder an Südmarokko). Wir waren nicht die Einzigen, denn am Ortseingang stauten sich schon die Autos ausflugswütiger Iraner und auch das Restaurant, in dem wir Mittag aßen, war ziemlich überfüllt. Danach hatten wir Zeit für einen kuzen Rundgang im Ort. Besonders auffällig: Die Kleidung der Einwohner. Die Frauen trugen buntgemusterte, weite Röcke und weiße Kopftücher, die Männer sehr weite Hosen, wie man teilweise auf den Fotos unten erkennen kann.

Nach Abiyane besichtigten wir in Kashan im Speed-Verfahren ein historisches Bürgerhaus der Tabatabaei-Familie aus dem Jahr 1834, da danach ein Rendezvous mit dem Freitagsprediger von Kashan auf dem Programm stand. Alle waren etwas angespannt dem Mann gegenüber zu treten. Natürlich war auch wieder Presse da und unser Besuch wurde ausführlichst per Foto und Film dokumentiert. Große Neuigkeiten erfuhr man von diesem Geistlichen nicht, aber allein die Art, wie er religiös argumentierte und wie er sprach, war allemal interessant. Am Ende wurden wir noch mit Süßigkeiten beschenkt und ich denke, alle waren nun froh, der doch etwas steifen Atmosphäre entkommen zu sein.

Den Geistlichen, den wir am nächsten Tag im schiitischen Pilgerort Qom trafen, war ein ganz anderes Kaliber. Er war quasi der „PR-Mullah“ der Stadt (obwohl der Begriff „Mullah“ wohl nur noch in westlichen Medien, jedoch nicht mehr im Iran verwendet wird)  und dazu da Touristen zu empfangen und mit ihnen zu diskutieren. Er sprach um einiges lebhafter und gewitzter als der bedächtige Geistliche in Kashan und machte auch aus seinem manchmal etwas holprigem Englisch keinen Hehl, in dem er sich immer wieder bei seinem Englischcoach, der danebensaß, rückversicherte. Nach diesem unterhaltsamen Gespräch machten wir uns auf den Weg, das Mausoleum von Fatima Masumeh zu besichtigen, der Tochter des von den Schiiten verehrten achten Imams. Das Laufen war für uns Mädels gar nicht so einfach, hatten wir doch am Anfang einen Tschador überziehen müssen, der ständig hin- und herrutschte und teilweise viel zu lang war 😦

In Mausoleum und auch auf der Straße konnte man schiitische Pilger aus der ganzen Welt beobachten. Der Pilgertourismus hat natürlich auch eine große wirtschaftliche Bedeutung für Stadt, was sich in einer richtigen Pilgerinfrastruktur mit Registrierungsschaltern, Buchläden, Souvenirshops, etc. niederschlägt.

Iran-Etappe 4: Isfahan, „die Hälfte der Welt“

Isfahan, nesf-e djahan – Isfahan ist „die Hälfte der Welt“ wie ein Sprichwort im Iran lautet. Und ja, bei den zahlreichen Sehenswürdigkeiten, die diese Stadt zu bieten hat, ist man erst einmal ein paar Tage beschäftigt. Wir hatten immerhin 2,5 Tage in der Stadt und ließen uns alle von der schönen Atmosphäre, v.a. auf dem großen Platz, Maidan-e Emam, einnehmen, wo abends gefühlt alle Einwohner der Stadt auf der Wiese sitzen, picknicken oder eine Rundfahrt mit der Kutsche wagen. Da musste man wirklich zur Seite springen, wenn sie angefegt kamen! Nicht mit den gemütlich über’s Kopfsteinpflaster trabenden Kutschen in Weimar oder Dresden zu vergleichen!

Am Ankunftstag in Isfahan – es war bereits Nachmittag – hatten wir etwas Stress noch alle Medresen und Moscheen am großen Platz abzugrasen, denn der nächste Tage sollte ein Feiertag, oder eher ein Trauertag zum Tode Khomeinis sein und alle Sehenswürdigkeiten würden geschlossen sein. Einige aus der Gruppe, mich eingeschlossen, nutzten dies, um am nächsten Morgen zu solch einer Trauerzeremonie in eine der zahlreichen Moscheen Isfahans zu fahren und etwas von der Atmosphäre mitzubekommen. Es strömten viele Offizielle des Regimes (Militärs, Geistliche etc.) in die Moscheen, doch man hatte das Gefühl, das es für viele einfach nur eine Pflichtveranstaltung war, wo man eben hingehen musste. Junge Leute sah man hingegen kaum. Die Atmosphäre war merkwürdig: Auf der einen Seite wusste ich nicht so richtig wie ich mich verhalten sollte, v.a. mit Fotografieren, obwohl das gar kein Problem darstellte, auf der anderen Seite machten wir durch unsere Anwesenheit als Ausländer gleich viele Leute aufmerksam. Das Staatsfernsehen wollte ein Interview mit einem aus der Gruppe führen, was er jedoch ablehnte, und eine Aufpasserin im Frauenbereich schoss, ach rein zufällig, ein paar Fotos von uns. Wer weiß, in wie vielen Zeitungen am nächsten Tag ein Bild von den „ausländischen Gästen bei der Trauerfeier zum Todestag Khomeinis“ veröffentlicht worden war …

Den restlichen Tag nutzten wir wieder zum Sightseeing: Wir flanierten, wie die Isfahaner es jeden Abend zu tun pflegen, auf der Si-o-se-Pol (33-Bogen-Brücke) entlang und besichtigten nachmittags die Freitagsmoschee. Wir hatten eine iranische Familie nach dem Weg dorthin gefragt. Diese verfrachtete uns kurzerhand in ihre Autos und fuhre uns direkt bis vor die Moschee. Natürlich durfte das obligatorische Gruppenfoto am Ende nicht fehlen 😉 Aber was für eine Gastfreundschaft!

Bevor wir am nächsten Mittag nach Norden weiterfuhren, hatten wir noch zwei Programmpunkte abzuhaken: den Tshehel-Sotun-Palast (40-Säulen-Palast), dessen Inneres wieder mit einem spannenden Mix aus indischen, europäischen, chinesischen und iranischen Malereielementen versehen war, und das Armenische Viertel. Die Armenier hatten schon immer eine wichtige wirtschaftliche Bedeutung (Händler, Kunsthandwerker) für den Iran gehabt. Nachdem der Safawidenherrscher Shah Abbas I. (reg. 1587 – 1629) Isfahan zur neuen Hauptstadt auserkoren hatte, ließ er die meisten der im Iran lebenden Armenier nach Isfahan (zwangs)umsiedeln und lockte sie mit der Erbauung eines ganzen armenischen Viertels, das bis heute besteht. Leider konnten wir keine der Kirchen von innen besichtigen, daher muss ich an dieser Stelle auf ein paar Fotos im Internet verweisen. ABER: In diesem Viertel gab es zahlreiche armenische Kaffeehäuser und wir ließen es uns natürlich nicht nehmen in ein solches armenisches „Starbucks“-Café (stand tatsächlich draußen dran) zu gehen. Juhu, endlich wieder richtiger, gutschmeckender Kaffee nach tagelangem Entzug und nur furchtbar schmeckendem Nescafé zum Frühstück! Ja, ich weiß, Luxussorgen! 😉 Aber ich musste zurück an die geniale Geschäftsidee eines deutschen Cafés in Buchara, Usbekistan, denken. Vielleicht sollte ich so was mal im Iran aufmachen? 😉

Iran-Etappe 3: Die Oasenstadt Yazd – Zoroastrismus und „Krafthäuser“

Yazd war im Rückblick betrachtet meine Lieblingsstadt im Iran und hatte es mir auf den ersten Blick angetan. Vielleicht weil mich die Stadt mit ihren Lehmhäusern so an südmarokkanische Dörfer erinnerte? Und vielleicht auch weil wir so ein schönes Hotel im traditionellen Stil mit Innenhof und Sitztischen hatten, das mich an Usbekistan erinnerte? Auf jeden Fall hatten wir in Yazd äußerst interessante Themen auf dem Programm: Zum Einen war die Stadt einst ein Zentrum des Zoroastrismus gewesen, eine monotheistische Religion, die im 2. Jt. v. Chr. im heutigen Afghanistan enstanden ist,  und zum Anderen hatten wir die Gelegenheit ein sogenanntes „Krafthaus“ (Zourkhane) zu besuchen, dessen sportlich-religiöse Rituale übrigens als immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe eingestuft worden sind. Doch dazu später mehr!

Wir besichtigten in Yazd als Erstes einen zoroastrischen Tempel zusammen mit einem zoroastrischen Guide, der uns die Grundlagen dieser „Religion der Feueranbeter“ näherbrachte. Im Tempel selbst gibt es eine „ewige Flamme“ hinter einer Glasscheibe, die verehrt wird, ein paar Heiligenbilder und ein paar Bücher – recht schlicht eingerichtet also. Nach der Tempelbesichtigung fuhren wir aus Yazd heraus zu den so genannten „Türmen des Schweigens“. Bis zu Zeiten des letzten Schahs hatten die Zoroastrier diese nach oben offenen Türme genutzt, um ihre Toten zu bestatten. Man legte die Toten folglich in die Öffnung und ließ sie von Geiern fressen bis nur noch die Knochen übrig waren. Aus hygienischen Gründen hatte der letzte Schah diese Art der Bestattung jedoch verboten, so dass die Zoroastrier ihre Toten heute in Betongräbern bestatten müssen. Im ganzen Iran leben übrigens nur noch etwa 20.000 Zoroastrier. Die größte Gemeinde befindet sich heute in Bombay,  wobei in ganz Indien heute geschätzt 65.000 Zoroastrier (sie nennen sich selbst „Parsen“) leben.

Am Abend schließlich besuchten wir eine Sportshow in einem sogenannten „Krafthaus“ (Zourkkhane). So was hatte ich noch nie gesehen! Man geht hinein und gelangt in einen runden Raum mit Kuppel und einem Kampfring in der Mitte. Die Wände sind übersät mit religiösen Bannern und Sportlerfotos und überall roch es muffig nach „Käsefüßen“. Eigentlich war dieser Ort dafür gedacht, für traditionelle Ringkämpfe bzw. Selbstverteidigung („Koshti“ und „Varzesh-e pahlavani“) zu trainieren. Die Show, die wir besuchten, war jedoch schon deutlich auf Touristen ausgerichtet gewesen, wird jeden Abend zweimal angeboten und zeigt lediglich Aufwärmübungen, aber keinen richtigen Ringkampf. Aber dieses Warmup war in jeglicher Hinsicht ungewöhnlich: Die Männer trainieren mit ulkig aussehenden, aber furchtbar schweren Holzkeulen ihre Schultern (und sehen deshalb auch sehr „aufgepumpt“ aus) und das alles im Rhythmus eines Trommlers und Sängers, der in einem kleinen Kabuff über dem Ring thront, und die Sportler mit rhythmischen religiösen Formeln antreibt. Ein einzigartiges Spektakel und eine hochinteressante Vermischung aus Sport und Religion. Des Weiteren interessant war es, dass die Männer ab einer bestimmten Zeit anfingen sich im Kreis, wie man es von Derwischen kennt, um die eigene Achse zu drehen. Leider kann ich meine Videos momentan noch nicht hochladen, doch da es sich bei dem Spektakel um ein UNESCO-Weltkulturerbe handelt, gibt es dafür sogar einen offiziellen YouTube Channel.

Ein weiteres interessantes Ereignis in Yazd sind die alljährlich stattfindenden schiitischen Trauerfeiern (Ashura) zum Tod des dritten Imam Husseins. Die dazugehörigen Trauerspiele, vergleichbar mit christlichen Passionsspielen, werden in allen schiitischen Ländern als eine Art Theateraufführung abgehalten und umfassen auch öffentliche Selbstgeißelungen der Gläubigen, wobei es im Iran mittlerweile verboten ist, sich bis auf’s Blut zu geißeln. Die Besonderheit Yazds besteht darin, dass die Männer im Rahmen der Trauerprozession ein einige hundert Kilo schweres Holzgestell (nakhl) herumtragen müssen, das mit religiösen Bannern verziert ist, und sich dabei immer schneller und schneller im Kreis bewegen. In diesem YouTube-Video kann man gut sehen, wie die Prozession in Yazds Nachbarstadt Taft aussieht, wie alle zu dieser Zeit schwarz gekleidet sind und sogar das Stadttor in Schwarz gehüllt wird. Hier könnt ihr euch noch weitere Fotos ansehen.

Zu guter Letzt noch eine Anmerkung zur Architektur: In Yazd sind die Badgir, Windtürme, allgegenwärtig, die trotz des heißen, trockenen Wüstenklimas für Abkühlung in den Häusern sorgen und dir ihr unten auch auf den Fotos sehen könnt.

 

Ey Iran*, der Einstieg in ein spannendes Reiseland – Etappe 1: Shiraz, auf der Suche nach Rosen, Nachtigallen und Liebe

„Ist das nicht gefährlich?“, „Cool!“, „Musst du da ein Kopftuch tragen?“ – das waren die Reaktionen als ich ankündigte in den Iran zu fahren. Und ja, Statement 2 und 3 haben sich definitiv bewahrheitet – der Iran ist ein tolles, super interessantes Reiseland, in dem allerdings alle (!) Frauen Kopftuch und lange Kleidung tragen müssen. Als ein gefährliches Reiseland würde ich den Iran nicht bezeichnen, zumindest solange man nichts öffentlich gegen das derzeitige Regime äußert. Unterwegs habe ich mich jedenfalls immer sehr sicher gefühlt, selbst um meine Handtasche und Kamera hatte ich keine Angst (okay, auch wenn man in Teheran schon etwas achtsamer sein sollte, hatte ich keine paranoide Diebstahlbefürchtungen wie z. B. in Casablanca).

Aber schön der Reihe nach: Wie bin ich eigentlich zu dieser Iranreise gekommen? In das Land wollte ich schon seit einiger Zeit einmal reisen, da ich mich während des Studiums bereits etwas mit der Kultur, Geschichte und Wirtschaft des Irans befasst und zudem anderthalb Jahre Persischunterricht absolviert hatte. Dann habe ich im Frühling diesen Jahres die Ankündigung einer Iranreise durch den Verein „Alsharq“ im Internet gesehen und hopp, c’était parti! Ich habe mich angemeldet, war beim Vorbereitungstreffen in Marburg, habe meine drei Jahre alten Uniunterlagen vom Persischunterricht durchgeschmökert und dann war auch schon der Abreisetag gekommen. Mit einem Flug von Turkish Airlines (sehr guter Service und super Bordessen!) gelangte ich von Berlin mit einmal Umsteigen in Istanbul nach Shiraz, in die „Stadt der Rosen, der Nachtigallen und der Liebe“. Nach einer Vorstellungsrunde am ersten Vormittag ging die Besichtigungstour auch gleich los: Wir besuchten die Grabstätten der beiden Dichter Hafez und Saadi, quasi Goethe und Schiller nur eben iranisch. Goethe hat aber tatsächlich in seinem Werk des „West-Östlichen Diwans“ Bezug auf Hafez genommen und in Weimar steht sogar ein Goethe-Hafez-Denkmal! Das ist mir dort aber nie aufgefallen! Naja, Reisen bildet!

Zu Hafez, dem Dichter zahlreicher Liebesghaselen, pilgern vor allem junge iranische Pärchen, halten dann Händchen am Grabe des Dichters und lesen sich gegenseitig seine Gedichte aus einer zufällig aufgeschlagenen Seite im Gedichtband vor. Diese Art des Zufallstreffers machen sich auch die Verkäufer draußen vor den Toren des Hafezmausoleums zu Gute: Sie lassen einen Wellensittich (vielleicht eine verkappte Nachtigall?) – dessen Flügel man gestutzt hat, damit er nicht wegfliegen kann 😦 – einen Zettel mit einem Hafezvers und seiner Interpretation aus einem Zettelkasten ziehen und verkaufen dies dann als Orakel. Leider steht’s nur auf Persisch drauf, aber vielleicht mag ja ein persischkundiger Leser so nett sein mir den Spruch mal zu übersetzen, der für mich gezogen wurde …?

Weiter ging’s im Programm mit dem Orangengarten (Bagh-e Narajestan), dessen beeindruckenden floralen (Rosen!) und figürlichen Malereien aus der Moghulzeit stammen und dadurch unweigerlich einen indischen Touch haben. Der Garten erinnerte mich an andalusische Gärten, steht jedoch architektonisch auch mit dem Taj Mahal in Agra, Indien, in Verbindung. Die Wandmalereien des Palastgebäudes sahen zudem mit den Porträtmalereien auch sehr europäisch beeinflusst aus, ein Element, das uns später auch noch in Isfahan begegnen sollte.

Am Nachmittag liefen wir am herrlich schiefen Turm der Zand-Zitadelle vorbei zum Bazar, wo wir ein Gespräch mit einem Teppichhändler hatten und er uns erzählte, wie es gerade um den iranischen Teppichhandel, v. a. unter den derzeitigen Wirtschaftssanktionen, steht. Einen Teppich kaufen mussten wir aber nicht 😉

Bevor wir am nächsten Tag zu den zahlreichen Ruinenstätten in der Umgebung Shiraz‘ aufbrachen, legten wir noch einen Stop in der Nasir-al-Mulk-Moschee, auch „Rosa Moschee“ genannt, ein, zu der ich hier noch ein paar weitere tolle Fotos entdeckt habe.

* „Ey Iran“ ist eine Hymne aus dem Jahr 1946 zu Ehren des Iran und gilt als die inoffizielle Nationalhymne. Den Text gibt’s bei Wikipedia.