Und plötzlich ist Sommer

Gerade eben war doch noch Karneval gewesen, oder? Heute stellte ich mit Erstaunen fest, dass ja bereits der 1. Juni, und somit der meteorologische Sommer, angebrochen ist. Den ganzen Frühling haben wir schon in der Ausnahmesituation und ständig wechselnden Regelungen verbracht! Wie die Zeit vergeht! Doch eigentlich hätte ich es merken müssen, denn meine Haare sind lang geworden – so lang wie schon lange nicht mehr. Der letzte Friseurbesuch in Berlin im Februar scheint eine gefühlte Ewigkeit her zu sein.

Der Corona-Cut hat mein Zeitempfinden ziemlich durcheinandergewirbelt. So gibt es Ereignisse wie den Karneval, der erst gestern gewesen zu sein schien – vermutlich, weil es danach bis heute keine nennenswerten Großereignisse mehr gab. Aber letzte Woche hatte ich zum ersten Mal das bleierne Gefühl, dass wir schon seit etlichen Monaten im Corona-Ausnahmezustand verharren und jeder Tag wie der andere ist. Dabei sind seit meinem permanenten Gang ins Homeoffice am 18. März 2020 und der fast kompletten Reduzierung längerer physischer Face-to-Face-Kontakte gerade einmal knapp 2,5 Monate vergangen. In dieser Zeit habe ich sämtliche Face-to-Face-Kontakte auf gerade einmal zehn (!) Personen beschränkt, mit denen ich mich auch mal länger als eine Viertelstunde getroffen habe. Wahnsinn, wenn ich im Nachgang so darüber nachdenke! Dafür ist der Kontakt zu anderen Personen virtuell intensiver geworden, insbesondere der zu meinen Arbeitskolleginnen und -kollegen. Nach wie vor ist es so, dass ich an manchen Tagen einfach nur fix und fertig von den vielen Videokonferenzen bin und kein Bedürfnis mehr habe am Abend privat weiter zu telefonieren. Die Arbeit ist intensiver, der Workload dichter geworden und ich befürchte, dass es schon fast zum Normalzustand geworden ist. Der langersehnte und bitter nötige Urlaub Anfang Juli steht aber vor der Tür! Wo es hingeht? „Staycation“ (Mix aus „stay“ = bleiben & „vacation“ = Ferien) ist angesagt – Bayern ruft!

Maskenball

An manchen Tagen vergesse ich, in welcher Ausnahmesituation wir uns nach wie vor befinden. Insbesondere wenn ich in der Natur und am Rhein unterwegs bin. Hier trifft man kaum auf maskentragende Menschen, die für mich das augenscheinlichste Indiz dieser Krise sind. Erst der Weg zum Bahnhof, zu einer ÖPNV-Haltestelle oder einem Geschäft holen einen in die Realität zurück „Verdammt, in welche Tasche habe ich die Maske denn nun schon wieder gesteckt?“ und das Kramen geht los.

Ich erinnere mich noch an den Tag als ich das erste Mal mit Maske einkaufen gehen musste (die Maskenpflicht in NRW wurde am 27. April 2020 eingeführt). Das Wochenende vorher hatten zum ersten Mal kleinere Geschäfte wieder geöffnet und man konnte noch ohne Maske einkaufen gehen. Doch aufgrund des bundesweiten Flickenteppichs an Maskenregelungen schwebte die Maskenpflicht ohnehin wie ein Damoklesschwert über allem und es war nur eine Frage der Zeit bis sie in ganz Deutschland eingeführt werden würde.

Ich hatte im März angefangen Stoffspenden für eine Frau zu sammeln, die in Heimarbeit Masken für medizinisches Personal herstellte. Bei der Stoffübergabe hatte sie mir zwei Masken als Geschenk mitgegeben. In dem Moment ging ich fest davon aus, dass ich diese niemals brauchen würde. Doch bereits am noch maskenfreien Einkaufswochenende wusste ich, dass es ab Montag nicht mehr „oben ohne“ gehen würde. Ich kam an einer kleinen Boutique vorbei und entdeckte kunterbunte Gesichtsmasken aus westafrikanischen Stoffen im Schaufenster. „Na wenn ich schon so ein Ding aufsetzen muss, dann wenigstens eins mit Stil.“ dachte ich mir und kaufte mir noch eine weitere Maske, die am darauffolgenden Montag dann zum ersten Mal zum Einsatz kommen sollte. An jenem 27. April stand ich vor „dm“ und setzte mir das Stoffstück mir umständlich und ein bisschen geniert auf. Das Atmen und Sprechen fiel mir schwer, die Ausatemluft ließ meine Brille beschlagen und ich war froh, die Maske draußen wieder absetzen zu können. Mittlerweile habe ich mich eigentlich daran gewöhnt, auch wenn ich den Anblick meiner Mitmenschen mit Maske immer noch befremdlich finde. Die durchsichtigen Visiere wären da vielleicht eine Alternative, auch wenn die echt doof aussehen. Aber was bedeutet schon Hässlichkeit angesichts dieser Ausnahmesituation?

Viele erste Male

Die Tatsache in der Coronazeit mit stückweisen Lockerungen zu leben, lässt Einen gewohnte Alltagssituationen wieder „zum ersten Mal“ erleben:

  • Das erste Mal mit Maske einkaufen gehen (siehe oben).
  • Das erste Selfie mit Maske.
  • Das erste Mal wieder Klamotten shoppen dürfen.
  • Das erste Mal wieder Klopapier und Desinfektionsgel im Laden finden.
  • Das erste Mal wieder in einem Restaurant essen (bei mir war es Sushi).
  • Das erste Mal wieder ins Museum gehen – etwas anstrengend, weil man die ganze Zeit Maske tragen muss, aber durchaus machbar und wunderbar leere Museumsräume (was natürlich für das Museum nicht so erfreulich ist).
  • Das erste Mal wieder Besuch empfangen.
  • Das erste Mal wieder eine längere Strecke Zug fahren.
  • Das erste Mal ins Freibad gehen (morgen – mit vorabgekauftem, personalisiertem Eintrittsticket).
  • Das erste Mal wieder ein paar Tage wegfahren. (Seit dem 12. März bis zum 30. Mai 2020 war ich, wenn dann, nur zu Tagesausflügen unterwegs gewesen. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal eine so lange Zeit an einem Ort verbracht habe. 😉)
  • Das erste Mal wieder für zwei Wochen in den Urlaub fahren (bald – juhuuu!).

Durch die ständigen Änderungen und den bundesweiten Flickenteppich an Regelungen stellt man sich auf einmal Fragen wie „Wie ist das jetzt eigentlich mit Kinobesuchen?“ oder „Mit Leuten aus wie vielen verschiedenen Haushalten darf man sich eigentlich gerade treffen?“ oder „Wann machen die Schwimmbäder wieder auf?“. Scheinbar banale Alltagsfragen, die aber zeigen, wie sehr unsere bisher gelebten Selbstverständlichkeiten und Privilegien auf den Kopf gestellt wurden. Wir sollten dankbar und ja, auch ein bisschen demütig sein, dass wir so langsam wieder all das tun dürfen, das vorher so normal und unhinterfragt unseren Alltag ausmachte. Vielleicht lernen wir Dinge neu wertzuschätzen.

Positive Aspekte

Die Lockdown-Situation hat mir klar gemacht, dass ich auf externe Inputs durchaus auch verzichten kann. Natürlich wäre ich liebend gerne weiterhin ins Kino, ins Museum, zu meinem Chor und meinem VHS-Sprachkurs gegangen. Natürlich hätte ich gerne meine sportlichen Aktivitäten im Schwimmbad und Yogastudio fortgesetzt. Natürlich hätte ich mich gerne mit Freunden im Restaurant oder mit meinen Kollegen im Büro getroffen. Und natürlich wäre ich weiterhin gerne Freunde und Familie besuchen gefahren. All diese „externen“ Aktivitäten haben die größte Zeit meines Alltags vor Corona bestimmt und sind mit Beginn des Lockdowns komplett zum Erliegen gekommen. Doch hier kommt die berühmte „Resilienz“ ins Spiel: Ich habe meinen Alltag so flexibel umgestaltet, dass ich fast all diesen Einschränkungen etwas Positives abgewinnen konnte. Hier hat mir sicher auch meine Erfahrung aus dem Leben in anderen Ländern geholfen, denn dort hatte ich nie einen Alltag wie in Deutschland leben können und hatte mich in meiner Freizeitgestaltung immer an den Gegebenheiten vor Ort anpassen müssen.

In meiner neuen Coronafreizeitgestaltung fand ich auf einmal Zeit, um…

  • … meinen Reiseblog zu reaktivieren
  • … mit Freunden virtuell zu sprechen, mit denen ich lange nicht telefoniert hatte
  • … die schöne Umgebung Bonns und Bonn selbst zu erkunden
  • … wieder mit Foodsharing anzufangen
  • … zu kochen und neue Rezepte auszuprobieren
  • … Bücher zu lesen, die schon seit Monaten darauf warteten gelesen zu werden
  • … mir Dokus zu Themen anzuschauen, mit denen ich mich schon seit Ewigkeiten einmal beschäftigen wollte (Geschichte des Christentums, deutsche Geschichte, Lokalgeschichte des Rheinlandes)
  • … zu Hause Yoga zu machen (Um mich motivieren zu können, brauchte ich sonst immer einen festen, externen Termin, wo ich ins Yogastudio fahren musste. Nun freue ich mich über die Flexibilität und das große Angebot einer Online-Yoga-Plattform.)
  • … virtuell Sprachunterricht zu nehmen
  • … „Die ZEIT“ zu lesen

Klar, gewisse Aktivitäten, wie z. B. schwimmen gehen, im Chor singen oder ins Kino gehen, konnte ich so nicht ersetzen. Aber hierfür hoffe ich auf baldige corona-kompatible Lösungen und freue mich umso mehr, wenn ich ihnen wieder nachgehen darf.

Auch wenn die Gefahr des Virus‘ gerade angesichts der Lockerungen zunehmend abstrakt erscheint, so versuche ich mir immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass es in meinem Bekannten- und Freundeskreis doch konkrete Bezugsfälle zur Krankheit gibt: So war ein Familienmitglied eines Arbeitskollegen als Risikopatient an Corona erkrankt, überlebte aber zum Glück. Ein Freund von Freunden hingegen ist tatsächlich an Corona gestorben. Ich kenne die Berichte der italienischen Verwandten einer Freundin, die mit dem totalen Lockdown klarkommen mussten und habe mit Freunden in Frankreich geskypt, die sich wochenlang nur eine Stunde pro Tag hinausbegeben und sich nur in einem 1 km-Radius um ihre Wohnung herum bewegen durften. Da sind wir in Deutschland, insbesondere in NRW, noch mit einem „blauen Auge“ davongekommen! Ich beobachte weiterhin mit Spannung die aktuellen Entwicklungen und überlege schon, welche Änderungen ich persönlich auch nach der Coronazeit beibehalten werde. Dazu sicher mehr im nächsten Blogpost! Bleibt weiterhin gesund, haltet physischen Abstand & rücksichtsvoll!

100 Jahre Einsamkeit? Oder: Wie der absurde Ausnahmezustand zum normalen Dauerzustand wird

Auch für den Titel meines zweiten Blogeintrags zum allgegenwärtigen C-Thema bemühe ich wieder Gabriel García Márquez, denn wie „100 Jahre Einsamkeit“ fühlt es sich langsam wirklich an. Wobei man ja zwischen „einsam“ und „allein“ unterscheiden muss. Das ZEIT Magazin vor zwei Wochen wählte den schönen, passenden Titel zu den gegenwärtigen Maßnahmen: „Nie war es so wichtig, gemeinsam allein zu sein.“

Seit meinem letzten Eintrag vor etwa zwei Wochen ist Einiges geschehen und so möchte ich hier wieder meine Beobachtungen und Gedanken teilen:

Die Ruhe vor dem Sturm vs. Sturmflut

Hatte sich in den ersten Tagen nach Schließung aller Kultureinrichtungen und nicht überlebensnotwendiger Geschäfte und der Verlagerung meiner Arbeit ins Homeoffice noch eine tiefe Gelassenheit ob des fehlenden Zeit- und Termindrucks breitgemacht, hat sich das Blatt nun mittlerweile um 180° gewendet – zumindest im beruflichen Kontext: Wir erfahren eine regelrechte „Sturmflut“ an Anfragen bezüglich unserer Onlinelernplattform, auf die wir nun auch versuchen, Online-Lerninhalte zum Thema Corona bereitzustellen. Manchmal bin ich schon mittags von den vielen Videokonferenzen völlig erschöpft und merke, mit wie viel mehr Kommunikationsaufwand die reine Onlinekommunikation verbunden ist. In täglichen virtuellen Stand-Up-Meetings mit meinem Team berichtet jede*r, an was er gerade arbeitet und wo er oder sie noch Hilfe benötigt. (Das nennt man auch „Working out loud“-Prinzip, d. h. man „arbeitet laut heraus“.) Eigentlich eine sehr gute Methode, durch die ich mich besser und strukturierter informiert fühle, wie als wenn wir alle in Präsenz im Büro wären. (Da gibt es nämlich nur einmal wöchentlich ein Teammeeting.) Aber wie gesagt, der Abstimmungsaufwand ist enorm und ich freue mich bald schon wieder auf Teammeetings „live und in Farbe vor Ort“.

Never Ending Story

Doch mit den Videokonferenzen auf Arbeit ist es nicht getan: Auch bei Gesprächen mit vielen Freunden, bei „Social Events“ mit meinen Kollegen oder bei kulturellen Inputs führt momentan kaum ein Weg an der Videokonferenz vorbei. So habe ich mit anderen relativ neuen Kollegen zusammen schon einen virtuellen Einstand organisiert und war heute bei einem virtuellen Ausstand einer Kollegin eingeladen. Mit Freunden zusammen habe ich schon virtuell Wein getrunken, virtuell zu Abend gegessen und virtuelle Wohnungsbesichtigungen vorgenommen. Letzte Woche nahm ich an einer ersten virtuellen Vortragsreihe der Reiseagentur alsharq teil, bei der Partner*innen vor Ort zur Coronalage in Israel und Palästina berichteten. Die Veranstaltung wurde gleichzeitig über „Zoom“ (haben leider massive Datenschutzprobleme!) und über einen Facebook-Livestream (Datenschutz, was ist das? 😉) verbreitet und hat mir mal eine andere Sicht auf die Lage vermittelt – z. B. wurde berichtet, dass sich Corona in vielen ultraorthodoxen jüdischen Gemeinden in Israel besonders stark ausbreitet, weil diese sich aus religiösen Gründen nicht an das „Physical Distancing“ (so heißt das jetzt korrekt 😉) halten wollen). Dieser Spiegel-Online-Artikel vom 3. April 2020 beschreibt die Lage vor Ort: Der Messias gegen Covid-19.

Noch ein kulturelles Schmankerl zum Schluss: Der Pianist Igor Levit streamt jeden Abend um 19 Uhr über Twitter ein Klavierkonzert aus seinem Wohnzimmer. Am 4. April 2020 wurde es etwas formeller, denn an diesem Abend hatte ihn Bundespräsident Steinmeier ins Schloss Bellevue zum Livekonzert (natürlich mit Sicherheitsabstand) eingeladen, um somit auf die prekäre Lage von Künstlern in dieser Zeit aufmerksam zu machen.

Nachrichtenwellen

Für mich als Medienwissenschaftlerin sind natürlich auch das „Agenda Setting“, also die „Nachrichtenwellen“ dieser Tage (um ein weiteres maritimes Bild zu verwenden), sehr interessant. Waren es am Anfang noch Jugendliche, die wegen so genannter „Coronaparties“ am Pranger standen (niemand schrieb hingegen über die vielen älteren Menschen, die immer noch zu Hauf einkaufen gehen), so gingen die Medien danach dazu über, v. a. über die fatalen wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise zu berichten. Nachdem dann über mögliche Exit-Strategien nachgedacht wurde, hat nun die „Maskenpflicht“ Hochkonjunktur. Meine alte Unistadt Jena ist hier vorgeprescht und hat die Maskenpflicht in Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr seit dem 6. April 2020 eingeführt. Wie sinnvoll es ist, die Maskenpflicht deutschlandweit in einer einzigen Stadt einzuführen, ist fraglich, aber gut, immerhin ein Tropfen auf den heißen Stein. In Zeiten von Corona offenbart sich die deutsche Kleinstaaterei wieder einmal in ihrer ganzen Bandbreite – mit Einzellösungen der Bundesländer, der Städte und sogar einzelner Stadtbezirke – typisch Berlin: in Mitte waren bis vor Kurzem alle Spielplätze gesperrt, im angrenzenden Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hingegen nicht.

Wie auf Kuba: Schlange stehen beim Einkaufen

Mittlerweile habe ich mich an diesen Anblick gewöhnt: Menschenschlangen vor den Geschäften und Marktständen. Jede*r hält ca. 1,5 m Abstand zum Vordermann; der Einlass wird durch einen Sicherheitsdienst geregelt. Kommt ein Kunde raus, darf ein anderer rein. Kuba-Déjà-Vu, nur, dass man weniger wegen zu knapper Güter Schlange steht (außer vielleicht Klopapier 😉), sondern vielmehr aus gegenseitiger Rücksichtnahme. Als ich einmal bei meinem türkischen Bäcker des Vertrauens in der Bonner Altstadt Brot kaufen wollte und die ungeordnete Schlange davor sah, war das Kuba-Feeling fast perfekt, als ein neu hinzugekommener Kunde fragte „Wer ist der Letzte?“ (siehe mein Blogeintrag „Havanna! – Start meiner Offline-Ferien in Kuba“).

In meiner Heimatstadt Dresden werden übrigens sogar die Einkaufswagen desinfiziert bevor sie der nächste Kunde benutzen darf! Das habe ich hier in Bonn noch nie beobachtet!

Vor zwei Wochen wagte ich mich Samstagnachmittag noch einmal in die Bonner Innenstadt. Eigentlich eine rammelvolle Einkaufsmeile zur Haupteinkaufszeit, aber diesmal, das Gefühl, an einem Sonntag durch die Innenstadt zu laufen, nur, dass eben Samstagnachmittag war. An allen Geschäften hingen selbstverfasste Hinweiszettel zur vorübergehenden Schließung des Geschäfts – mal emotional-traurig, mal humorvoll, mal geschäftstüchtig mit Hinweis auf den Onlineshop und Lieferservice. Aber trotzdem: irgendwie ein deprimierender Anblick.

Solidarität leben

Mittlerweile kann ich mich auch ein bisschen für meine Umgebung nützlich machen und bin über eine Facebookgruppe, die sich „Corona Hilfe Bonn“ nennt, auf diese zwei Privatinitiativen gestoßen: Da fast alle sozialen Einrichtungen und „Tafeln“ in Bonn geschlossen sind, gibt es die private Initiative von Jörn Sloot, der sich fast jeden Tag in der Nähe des Hauptbahnhofs mit seinem Lieferauto hinstellt und Essen an Obdachlose verteilt. Ich habe ihm auch schon Essensspenden vorbeigebracht und teile hier mal den Flyer für alle in Bonn Wohnenden:

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Des Weiteren sammele ich gerade Spenden von Baumwollstoffen, Nähgarn und Gummibändern für eine Frau, die Mundschutzmasken für medizinische Einrichtungen näht. Wenn ihr also etwas zu spenden habt, könnt ihr das gerne bei mir vorbeibringen und ich leite es an sie weiter. Die Bonner Freiwilligenagentur hat just heute eine ähnliche Aktion gestartet und sucht ehrenamtliche Maskennäher*innen sowie Stoffspenden. Schaut doch mal bei der Freiwilligenagentur in eurer Stadt vorbei – dort gibt es sicher auch Möglichkeiten der Nachbarschaftshilfe oder Spendenoptionen!

Ansonsten sucht die NGO „Translators without Borders“ gerade freiwillige Übersetzer für Infomaterialien zu Corona, v. a. für asiatische Sprachen: https://translatorswithoutborders.org/covid-19

Den Humor nicht verlieren

Zu guter Letzt teile ich ein paar Kuriositäten aus „Coronistan“ mit euch:

Katholische Kirche erlässt gläubigen Infizierten ihre Sünden (Deutsche Welle, 20.03.20)

Polen setzt beschlagnahmten Wodka als Desinfektionsmittel ein (Spiegel Online, 20.03.20)

McDonald’s-Mitarbeiter helfen bei Aldi aus (Spiegel Online, 20.03.20)

Solidarität und Humor in Zeiten von Corona (Deutsche Welle, 29.03.20)

Musik gegen Corona-Langeweile (Deutsche Welle, 16.03.20)

Mittlerweile halte ich draußen nicht mehr bei jedem Vorbeigehenden intuitiv die Luft an (um ja kein ausgeschiedenes Tröpfchen einzuatmen) und mittlerweile habe ich tagsüber eine richtige Homeoffice-Routine und abends eine Zu-Hause-Routine entwickelt – der Ausnahmezustand wird langsam zum Normalzustand. Wie lange noch? Tja, „the answer my friend, is blowing in the wind…“. In diesem Sinne: Haltet durch und bleibt gesund!

 

Schriftrollen in der Wüste & Weihnachtskrippe mit Mauer. Unterwegs im Westjordanland: Qumran und Bethlehem

Am siebten Tag unserer Reise verließen wir Jordanien auch schon wieder und fuhren sehr früh am Morgen von Wadi Musa los, um über den Grenzübergang an der Allenby-Brücke nach Palästina, genauer ins Westjordanland, zu gelangen. Der Grenzübertritt zog sich erneut fast zwei Stunden hin und mir wurde wieder einmal klar, was für einen Luxus wir doch im europäischen Schengenraum haben, in dem nervige Wartezeiten einfach entfallen bzw. man die Grenze kaum als solche wahrnimmt. Wir verabschiedeten uns von unserem jordanischen Guide Mohamad und begrüßten erneut unseren israelischen Guide Ariel, der auf dem Parkplatz mit einem israelischen Bus auf uns wartete. Vor nicht allzu langer Zeit wäre es nicht möglich gewesen, dass er, ein israelischer Guide, eine Touristengruppe auf palästinensisches Gebiet begleitet, so erzählte uns Ariel. Doch mittlerweile ist dies möglich und so dürfen im Gegenzug auch palästinensische Guides mit ihrer Touristengruppe nach Israel reisen. Für die „normale“ Bevölkerung ist das um einiges schwieriger: Israelis dürfen aus Sicherheitsgründen nicht nach Palästina, es sei denn, sie wohnen in einer der jüdischen Siedlungen, und Palästinenser dürfen nur mit einer schwer zu bekommenden Einreiseerlaubnis (z. B. wenn sie in Israel arbeiten oder ins Krankenhaus müssen) nach Israel einreisen. Will z. B. ein Palästinenser ins Ausland fliegen, so fährt er normalerweise nach Jordanien, um von dort aus zu fliegen, denn nach Israel, was geografisch näher liegt, würde er nicht reinkommen. Wir, als ausländische Touristen, haben das Privileg, beide Gebiete bereisen zu dürfen. Und so war ich schon sehr gespannt!

Vom Grenzübergang aus, bei dem man auf westjordanischer Seite auf Höhe der „Palmenstadt“ Jericho rauskommt, die etwa 10 km nördlich des Toten Meers liegt, fuhren wir bis nach Qumran. Doch bevor ich auf diese Siedlung zu sprechen komme, muss ich noch auf einen interessanten ZEIT-Artikel von 1967 zu Jericho verweisen, der offenbar das Rätsel um die „Posaunen von Jericho“ aufklärt. Die Mauern Jerichos seien, laut Bibel, durch den Klang von Posaunen zum Einsturz gebracht worden als die Israeliten Jericho auf dem Weg nach Jerusalem eroberten. Hier der Link: „Warum stürzte die Mauer ein?“.

Aber zurück zu Qumran: Als wir auf dem Parkplatz der Stätte aus dem Bus stiegen, wurden wir fast von den Touristenmassen umgerannt, die leider, genau wir wir, zunächst nur ein Ziel kannten: Einmal hindurch durch den superengen und megastickigen Souvenirshop rein in das völlig überfüllte arabische Fast-Food-Restaurant. Das Essen schmeckte ganz okay, produzierte viel Plastikmüll, aber der Lautstärkepegel lud uns nicht zum Verweilen ein. Wieder am Eingangsbereich schleuste uns Ariel durch die Massen hindurch in die Ruinensiedlung Qumran. Dort hatte ein Hirte in einer Höhle alttestamentarische Schriftrollen, die „Schriftrollen vom Toten Meer“, gefunden – ein Hinweis darauf, dass wir uns wieder am Ufer dieses salzhaltigen Gewässers befanden. Nach diesem Fund gruben Archäologen in insgesamt elf Höhlen etwa 850 Rollen aus dem antiken Judentum aus. Wie uns ein Film zeigte, soll in dieser öden Wüstengegend einst eine Gruppe jüdischer Asketen gelebt haben, die sich vom Judentum mit Tempeldienst und Priesterschaft abwandten, und ein rituell streng geregeltes, enthaltsames Leben führten. Sie sahen sich als die letzte Generation vor der Ankunft des Messias. Aus dieser Zeit (ca. 150 v. Chr. bis 70 n. Chr.) stammen die Qumranrollen, in denen größtenteils auf Hebräisch das Leben dieser frühjüdischen Gemeinschaft beschrieben wird.

Von Qumran aus fuhren wir zu unserer Übernachtungsstätte für die kommenden zwei Nächte: Bethlehem. Jetzt taucht sicherlich vor jedermanns Augen das heimelige Bild von der Heiligen Familie nebst Tieren und Heiligen Drei Königen in einer Krippe auf, über dem der Stern von Bethlehem leuchtet. Nun ja, fast… Das, was Bethlehem extrem un-heimelig macht, ist die Tatsache, dass es im nördlichen Teil von einer Mauer umgeben ist, die es von Jerusalem trennt. Diese bis zu 8 m hohe israelische Sperranlage befand sich fußläufig von unserem Hotel entfernt und war über und über mit Graffitis und Street Art versehen. Ein beängstigender Anblick, vor allem die Wachtürme mit Schlitzfenstern, in denen israelische Soldaten sitzen und die Mauer bewachen. Insbesondere als Deutsche kommt man bei der Mauer, mit deren Bau Israel 2002 begann, schon gewaltig ins Grübeln…

Im Vorfeld der Reise hatte ich gelesen, dass der britische Street-Art-Künstler Banksy, den man mit seiner Street Art in vielen Großstädten dieser Welt verewigt finden kann, ein Hotel im Westjordanland eröffnet hat. Er warb für sein Hotel mit „dem schlechtesten Ausblick der Welt“, da man direkt auf die Mauer schaute. Bei meinem abendlichen Spaziergang an der Mauer stand ich, ohne es zu wissen, auf einmal direkt davor! Der Eingang des „The Walled Off Hotel“  (wall off heißt auf Englisch – sehr passend –  abschotten) war von einem Schimpansen in Pagenuniform flankiert und hatte auf mich irritierend, da für diesen Teil der Welt viel zu ironisch, gewirkt. Als ich am Haus nach oben sah, erkannte ich mit Graffiti um die Fenster drumherum gesprühte Fensterrahmen und Balkone. Bevor ich in das Hotel hineinging, klapperte ich noch den danebenliegenden Souvenirshop mit Banksy-Devotionalien ab. Der Clou: eine Weihnachtskrippe aus Holz, bei der die Heiligen Drei Könige von der Krippe durch eine Mauer abgetrennt waren. Wie wahr, wie wahr! 😦

Im „The Walled Off Hotel“ schaute ich mir eine Ausstellung zum Leben der Palästinenser mit der Mauer und unter israelischer Besatzung an. Sehr interessant, aber auch sehr traurig, insbesondere die Informationen über den noch stärker abgeschotteten Gazastreifen. Neben der Ausstellung gab es noch einen Buchladen, eine Gallerie, in der Werke palästinensischer Künstler ausgestellt wurden, und eine skurril eingerichtete Lobby mit Bar, in der sich alle Gespräche, soweit ich das aufschnappte, nur um den israelisch-palästinensischen Konflikt drehten. Falls ich ein weiteres Mal nach Bethlehem kommen sollte, werde ich auf jeden Fall in diesem Hotel übernachten! Interessanterweise wählen viele Reiseveranstalter und Touristen, die eigentlich Jerusalem besuchen wollen, Bethlehem aufgrund seiner vergleichsweise günstigen Preise als Übernachtungsort, so dass die Hotels gut belegt sind.

Aber in Bethlehem gibt es ja auch einiges zu besichtigen: Ariel führte uns noch am Abend des Ankunftstages zur Geburtskirche, die an jenem Platz errichtet sein soll, auf dem sich der Stall befand, in dem Jesus geboren wurde. Die Touristen stapelten sich schon vor dem Eingang und drinnen war so ein Gedränge, dass man etwa drei Stunden hätte anstehen müssen, um den Stern im Boden sehen zu können, der die Stelle markiert, an der Jesus geboren sein soll. Um die Geburtskirche in Ruhe betrachten zu können, möge man – so blöd es auch klingen mag – in die ZDF-Mediathek gehen und sich den Beitrag „Weihnachten in Bethlehem“ vom 24.12.2017 u. a. mit einem Auftritt Peter Maffays anschauen. Das war echt eine nette Sendung und lieferte im Nachzug der Reise viele Aha-Erlebnisse à la „Ach so sieht also die Geburtsstelle Jesus‘ bzw. die Katharinenkirche von innen aus!“. Die Katharinenkirche, in der jedes Jahr der traditionelle Weihnachtsgottesdienst stattfindet, liegt direkt neben der Geburtskirche, war aber während des Zeitpunkts unserer Besichtigung wegen einer Hochzeit geschlossen.

Mehr konnten wir aufgrund der schon vorgerückten Stunde in Bethlehem leider nicht besichtigen, obwohl ich gerne noch durch die schmalen Gassen geschlendert wäre, die vom großen Platz vor der Geburtskirche (Manger Square) abzweigten. Aber stattdessen hieß es „ab in die Heia“, denn zwei sightseeing- und geschichtslastige Tage in Jerusalem standen uns bevor – der krönende Abschluss dieser Reise.

Einen Einschub erlaube ich mir noch, da er eher zu Bethlehem als zu Jerusalem gehört: Am letzten Tag unserer Reise besuchten wir morgens Beit Jala, eine palästinensische Kleinstadt, die fast nahtlos in Bethlehem über geht, und in der sich ein Rehabilitationszentrum für behinderte Kinder und Jugendliche, „Lifegate. Tor zum Leben„, befindet. Passend zum Ort, der eine mehrheitlich christliche Bevölkerung aufweist, handelt es sich bei der deutsch-palästinensischen Einrichtung, um eine von kirchlichen Trägern (Caritas, Diakonie) unterstützte Stätte, die jedoch offen für alle Konfessionen ist. Der Verein, der Lifegate in Deutschland vertritt, heißt Tor zum Leben e. V.

Eine deutsche Mitarbeiterin, die, passend zu unserer sächsischen Reisegruppe, aus einer Kleinstadt bei Dresden kam, und die schon seit vielen Jahren in der Einrichtung als Therapeutin arbeitet, führte uns herum und erklärte uns das Konzept. Hauptanliegen ist es, behinderte Kinder und Jugendliche, deren Existenz für die Familien und die paläsinensische Gesellschaft leider vorwiegend tabuisiert wird bzw. beschämend ist, sollen befähigt werden, ihr Leben selbst zu meistern. Dazu erhalten sie zum einen Unterricht und Therapie, und zum anderen die Möglichkeit, sich in verschiedenen Tätigkeiten und Handwerken auszuprobieren bzw. eine Art Ausbildung zu machen (z. B. Holzbearbeitung, Wäscherei, Keramikherstellung). Es war absolut beeindruckend, was die Einrichtung mit ihrem deutsch-palästinensischen Team und zeitweisen internationalen Freiwilligen hier leistete. Hut ab! Um zumindest einen kleinen Unterstützungsbeitrag zu leisten, stürmte unsere Reisegruppe den Souvenirladen und erwarb einige der lokal hergestellten Produkte. Definitiv ein Besuch, der in Erinnerung bleiben wird!