Ostern in Budapest. Tag 3 & 4: Spaßsozialismus, Berlinale-Gewinner und aktuelle Protestkultur

Der dritte Tag meiner Budapestreise stand ganz im Zeichen der Geschichte: Zunächst nahm ich Metro und Bus um in einen schon fast kleinstädtisch wirkenden Außenbezirk der Stadt zu fahren und dort den „Memento Park“ zu besuchen. Dieser wirbt etwas reißerisch mit den „größten Statuen des Kalten Krieges“ und stellt eine Art Denkmalfriedhof dar, auf dem sozialistische Denkmäler ausgestellt sind, die man nach dem Ende des Sozialismus‘ 1989 aus der Stadt verbannen wollte. Wie auch in Berlin wirbt der Park mit einer gewissen Hipness des Sozialismus‘; die Besucher sollen angeregt werden, lustige Fotos mit den Statuen zu machen, ein Trabbi steht ebenso als Fotomotiv bereit und schon am Kassenhäuschen dudeln einem kämpferische sozialistische Lieder entgegen, die es gleich auch als CD zu erwerben gibt. Das Gelände ist sehr weitläufig und die Statuen sind bewusst künstlerisch angeordnet. Leider fehlen Erläuterungen zu den einzelnen Denkmälern, die man nur im Rahmen einer geführten Tour erzählt bekommt. Immerhin gibt es aber gegenüber des Parkgeländes eine Holzbarracke, die den allgemeinen historischen Hintergrund zum ungarischen Sozialismus liefert und seltenes Filmmaterial zur Ausbildung von Spionen für den damaligen Geheimdienst zeigt.

Wieder zurück in der Stadt stapfte ich nach einem deftigen Mittagessen am Fuße des Burgbergs den selbigen nach oben und konnte erneut einen tollen Panoramablick auf Budapest genießen. Auch hier stapelten sich mal wieder die Touristen und ich war froh nicht von einem Selfiestick erschlagen worden zu sein. 😉 Wieder unten begab ich mich zum Rudas-Bad, einer türkischen Therme am Fuße des Burgbergs. Schon in der Eingangshalle hatte sich eine lange Schlange gebildet, doch konnte ich relativ schnell reingehen und nach einigem Warten eine Umkleidekabine ergattern. Als ich schließlich die Halle mit den fünf Becken mit unterschiedlich warmem bzw. heißem Wasser (zwischen 28°C und 42°C) betrat, hätte ich am liebsten gleich wieder auf dem Absatz kehrtgemacht. In den Becken tummelten sich so viele Menschen, dass ich gar nicht wusste, wie ich da noch einen Platz finden sollte. Naja, irgendwie ging es dann doch und ich konnte mir erst einmal den schönen Kuppelbau ansehen und vor allem Leute beobachten. Entspannend war die Sache allerdings kaum, wozu auch der hohe Lautstärkepegel beitrug, der durch das Echo des Stimmengewirrs an den Hammamwänden entstand. Nach 45 Minuten verließ ich das Bad wieder und nahm mir fest vor beim nächsten Besuch NICHT zu Ostern zu kommen und das Komplettpaket zu buchen, bei dem man nämlich auch Zugang zur Dachterrasse hat.

Den Abend verbrachte ich im kleinen Programmkino direkt unten neben meinem Hostel. Ich hatte keine Ahnung worum es in dem ungarischen Film „Testről és lélekről“ mit englischen Untertiteln gehen würde, den ich mir spontan ausgesucht hatte. Wie ich dann jedoch im Laufe des Films feststellte, handelte es sich um „On Body and Soul„, der dieses Jahr den Goldenen Bären auf der Berlinale gewonnen hatte! Ein sehr lohnenswerter Film!

Meinen letzten Tag in Budapest erkundete ich die Gegend rund um das beeindruckende Parlamentsgebäude und verbrachte ein paar Stunden in den Ausstellungsräumen des Ethnografischen Museums, ein pompöses Gebäude, das im ehemaligen Justizpalast untergebracht ist. Von dort aus lief ich rüber auf die Margareteninsel, auf der im Sommer immer das Sziget-Festival stattfindet. Momentan war der Inselpark allerdings eine einzige Baustelle und ein Großteil der Wege aufgerissen oder abgesperrt. Natürlich durfte am letzten Tag ein Besuch einer traditionellen Konditorei nicht fehlen, wobei es mir echt schwer viel unter den vielen süßen Köstlichkeiten das passende Tortenstück auszusuchen.

Auf dem Weg von der Konditorei aus gen Süden kam ich an einem großen Platz, dem Szabadság tér, vorbei, wo sich zum Einen das indisch aussehende Gebäude der öffentlich-rechtlichen ungarischen Fernsehanstalt befand und zum Anderen ein merkwürdiges Denkmal, das „German occupation memorial“. Das Denkmal zeigt einen Greifvogel (deutschen Adler?), der den Erzengel Gabriel (Symbol für Ungarn) angreift und soll den Opfern der nationalsozialistischen Besetzung Ungarns gedenken. Allerdings werfen Kritiker dem Denkmal vor, einseitig zu sein und nicht zu berücksichtigen, dass es auf ungarischer Seite auch viele Kollaborateure gegeben hat und Antisemitismus bereits vor dem Einmarsch der Deutschen weit verbreitet gewesen war. So kommt es, dass vor diesem Denkmal viele Gegner persönliche Erinnerungsgegenstände und Fotos aus dieser Zeit angebracht und ihre Version der Geschichte aufgeschrieben haben. Sie sehen das Denkmal als einen Ort der Geschichtsverfälschung durch die rechtskonservative Regierung unter Viktor Orbán. Überall in der Stadt konnte ich zudem immer wieder Banner sehen, auf denen „I stand with CEU“, also „Ich halte zur CEU“, stand. CEU ist die Abkürzung für die „Central European University“, eine US-amerikanische Privatuniversität in Budapest, an der nur auf Englisch unterrichtet wird. Die ungarische Regierung hat vor Kurzem ein neues Gesetz verabschiedet, mit dem ausländische Unis in Ungarn strikteren Auflagen folgen sollen und womöglich sogar geschlossen werden können. Dagegen hat sich bereits seit einigen Wochen immer wieder Widerstand in Form von Demonstrationen gebildet und auch als ich an einem der Abende im Hostel saß, konnte ich einen Demonstrationszug mit EU-Fahnen, Trillerpfeifenkonzert und lauter Musik vorbeiziehen sehen:

 

Am Abend von Ostermontag stieg ich schließlich wieder in den Nachtzug zurück nach Berlin. Zunächst schien ich Glück mit meinen Mitreisenden zu haben, jungen Ungarn, die in Deutschland studierten oder arbeiteten, bis dann ein recht unfreundliches Pärchen und ein redseliger Pole auftauchten, die aber alle zum Glück schon in Tschechien wieder ausstiegen. So konnte ich den Rest der Fahrt halbwegs schlafend hinter mich bringen.

Ostern in Budapest. Tag 2: Paprikaalarm und sansibarisches Mittagessen

Tag 2 in Budapest startete mit einem Paprikaalarm – zumindest sieht man fast nichts anderes, wenn man die älteste Markthalle der Stadt, Nagycsarnok, betritt. Getrocknete Paprika in verschieden großen Bündeln, Paprika in Pulverform, Paprikaöl, Paprikaseife – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Dazwischen: Bäckerstände mit diversen süßen Teilchen (z. B. Strudel), Obst und Gemüse, geräuchertem Käse, Salami en masse und auf der oberen Etage bestickte Textilien und Tischdeckchen, sowie Lederhandtaschen. Lange hielt ich es allerdings nicht in der Markthalle aus, sondern floh vor den hereinströmenden Touristenmassen nachdem ich einen kleinen Paprikavorrat eingekauft hatte. Nach einem Gang durch die ebenfalls gut gefüllte Einkaufsstraße der Innenstadt (es war ja Samstag und somit der einzige verkaufsoffene Tag am Osterwochenende), begab ich mich weiter südlich in die ehemaligen Arbeiterviertel Josephstadt und Franzensstadt, wo ich einen Mittagsimbiss suchen wollte, um mich für den Besuch des Nationalmuseums zu stärken. Mein „Lonely Planet“-Reiseführer führte mich in ein afrikanisches Restaurant, wie sich herausstellte ein tansanisches, ja sogar ein sansibarisches Restaurant! Der Besitzer erzählte mir, dass er und der Freund, mit dem er das Restaurant zusammen betrieb, wohl die einzigen beiden Sansibaris Budapests seien und es in der ganzen Stadt wohl nur etwa 30 Tansanier gäbe. Er war noch zu sozialistischen Zeiten mit einem Stipendium zum Studium nach Budapest gekommen und war seitdem dageblieben. Immer jedoch, wenn er sein Visum verlängern will, muss er nach Berlin fahren, da sich dort die nächste tansanische Botschaft befindet. Was für ein Zufall in Budapest Kiswahili hören zu können!

Nachdem ich im Nationalmuseum einiges über die ungarische Geschichte erfahren hatte, wollte ich die Abenddämmerung nutzen und mir das Lichtermeer Budapests von oben anschauen. Gesagt, getan fuhr ich bis an den Fuß einer weiteren Therme, dem Gellért-Bad, und stiefelte den Gellért-Berg nach oben. Oben angekommen empfing mich der übliche Touristentrubel, der Ausblick auf die beiden Stadtteile „Buda“ links der Donau und „Pest“ rechts der Donau waren aber einfach überwältigend und man konnte bis zu den Budaer Bergen blicken. Von hier oben wurde mir auch klar, warum Budapest mit seiner Lage an der Donau manchmal mit der französischen Stadt Lyon verglichen wird, die sich ähnlich an den Zusammenfluss von Rhone und Saône anschmiegt und ebenfalls von Bergen umgeben ist. Leider wurde es mit Einbruch der Dunkelheit ziemlich kalt, so dass ich bald wieder den Abstieg antrat und mich auf mein überheitztes Hostelzimmer freute.

Ostern in Budapest. Tag 1: Jüdisches Hipsterviertel, Heldenplatz und Stadtwäldchen

„Nie wieder Nachtzug im Sitzabteil!“ dachte ich mir nachdem ich nach fast zwölfstündiger Fahrt von Berlin nach Budapest angekommen war. Okay, dass eine Nacht auf dem Sitzplatz mit wenig komfortabler Schlafposition auf mich zukommt, hatte ich ja vorher gewusst. Aber dass  genau mir gegenüber ein quasselstrippiger ungarischer Herr Platz nehmen sollte, das konnte ich vorher leider nicht ahnen. Erst laberte er seine Sitznachbarin auf Deutsch zu, obwohl sie sich einfach nur in ihr Buch vertiefen wollte. Ich hatte das Gefühl, dass er sich nur mit ihr unterhielt, um sich wichtig zu machen und einen belehrenden, besserwisserischen Tonfall an den Tag zu legen.  Ein typischer Fall von „Mansplaining“ dachte ich noch, doch dann schwenkte der redselige Herr auf Ungarisch auf ein Gespräch mit meinem Sitznachbarn um. Sie unterhielten sich wirklich OHNE Pause bis etwa Mitternacht, dann war bis morgens gegen 7 Uhr endlich Ruhe im Abteil, doch direkt nach dem Aufwachen ging das Gequassel wie auf Knopfdruck ohne Punkt und Komma weiter. Unglaublich wie man so viel reden kann! Gottseidank verstand ich nichts und war froh gegen 8.30 Uhr endlich aussteigen und zu meinem Hostel fahren zu können. Auf dem Weg dorthin lernte ich gleich Budapests U-Bahn kennen, insbesondere die Linie M1, die, 1896 eröffnet, als älteste U-Bahnlinie des europäischen Festlandes gilt. Die kleinen Waggons und die kachel- und holzverzierten Ministationen sahen echt urig aus – ich fragte mich nur, wie es kapazitätsmäßig in Stoßzeiten unter der Woche aussehen muss… Am Osterwochenende waren gefühlt fast nur Touristen in der Stadt unterwegs und die Budapester wohl mehrheitlich auf’s Land gefahren.

Erster Anlaufpunkt meines ersten Tages in der ungarischen Hauptstadt war das jüdische Hipsterviertel. Hier steht die nach der Synagoge in New York weltweit zweitgrößte Synagoge. Ein beeindruckendes, schönes Ziegelbauwerk, dass mit seinen maurischen Stilelementen an die Synagoge in Berlin in der Oranienburgerstraße erinnert. Um die Synagoge herum: Typisches Hipsterviertel so wie es mittlerweile in jeder größeren europäischen Stadt existiert mit kleinen Cafés, Kneipen und Läden, von denen die meisten an diesem Karfreitag allerdings geschlossen waren. Die Dichte an hippen israelischen Falafelimbissen und weiterem „jüdischen“ Essen erinnerte mich sehr an das gentrifizierte jüdische Viertel in Krakau, das ich Anfang des Jahres besucht hatte. Irgendwie geht mir diese vereinheitliche Hipsterkultur schon echt auf die Nerven und auch auf dem Flohmarkt, über den ich durch einige Hinterhöfe hindurchschlenderte unterschied sich mit seinem Stoffbeutel- und Ohrringeangebot kaum von Berliner Flohmärkten.

Nach einem Zwischenstop im prunkvollen „Café New York“, einem der traditionellen Kaffeehäuser Budapests, das allerdings extrem überteuert war,  lief ich weiter Richtung Donau. Auf dem Weg dahin konnte ich mir die beeindruckenden und architektonisch sehr interessanten Häuserfassaden etwas genauer ansehen – in dieser Hinsicht erinnert mich Budapest sehr stark an Paris und einige der Jugendstilbauten sogar an Helsinki mit seinen Bauten im Stil der Nationalromantik. In Ungarn hatte sich mit dem „Szecesszió“ ein ganz eigener Stil des Jugendstils herausgebildet, der insbesondere historische Figuren und Szenen sowie orientalische Elemente in die Architektur einband. Fast an jeder Ecke konnte einen ein ungewöhnliches Bauwerk überraschen!

Am Nachmittag machte ich mich zum Stadtwäldchen auf, ein großer Park nordöstlich des Zentrums gelegen, dessen Eingang vom riesigen Heldenplatz flankiert wird, auf dem sich die Touristenmassen tummelten. Im Park selbst konnte man dem recht kalten und windigen Osterwetter trotzen und noch ein paar Sonnenstrahlen abbekommen. Ich lief einmal um Europas größte Therme (ja, Budapest hat schon viele Superlative zu bieten!), das Széchenyi-Bad, herum, entschied mich aber nicht hineinzugehen, sondern an einem der kommenden Tage eine der türkischen Therme der Stadt auszuprobieren. Türkische Therme? Ja, ganz richtig! Budapest war von 1541 bis 1686 von den Osmanen besetzt gewesen und diese wussten sich die Thermalquellen der Stadt zu Nutze zu machen, in dem sie öffentliche Bäder bauten, die teilweise bis heute in Betrieb sind.

Ich beschloss den Tag, in dem ich noch zwei im Reiseführer erwähnte Jugendstilbauten in der Nähe des Stadtwäldchens, die ehemalige staatliche Blindenanstalt und das Geologische Institut, abklapperte, und in einem günstigen Restaurant frittierte Champignons und Suppe mit Mehlklößen mampfte. Lecker!

Krakau. Interkontinentales Silvestertreffen bei Bigos und Pierogi

Was mache ich zu Silvester? Die alljährliche Preisfrage zum Ende des Jahres rückte näher. So traf es sich gut, dass Maki, eine japanische Freundin, die ich noch aus Sansibar kannte, auf den „Kontinent“, wohlgemerkt den europäischen Kontinent, kommen wollte. Sie arbeitet nämlich derzeit in Nairobi, Kenia, und brauchte etwas Erholung von der dortigen Tätigkeit und Kultur. Mit von der Partie war Makis Freund, Matt, aus Großbritannien. Unsere kleine, aber feine interkontinentale Reisegruppe traf sich also in Krakau, wo wir per AirBnB eine original sozialistisch angehauchte Plattenbauwohnung in einem Krakauer Außenbezirk gebucht hatten. Die Wiedersehensfreude am Morgen des 28. Dezembers war groß – hatten wir uns doch drei Jahre lang nicht mehr gesehen. Auch wenn ich von der Nachtbusfahrt von Berlin nach Krakau noch ein bisschen müde war, so wollten wir uns nicht ausruhen und fuhren gleich nach Wieliczka, ca. 10 km südöstlich von Krakau gelegen, wo es ein zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärtes Salzbergwerk zu besichtigen gibt. Draußen wehte ein eisiger Wind und so waren wir froh für über zwei Stunden in den Untergrund abtauchen zu können, wo es deutlich wärmer war. Im Rahmen einer Führung kamen wir an Salzdenkmälern, Figuren und Gerätschaften, die den Bergbau in früheren Jahrhunderten zeigten, grünlich schimmernden Seen und als Highlight an einer riesigen Halle vorbei, die als Kapelle genutzt wurde. Und das alles unter Tage – Wahnsinn! Natürlich durfte auf der Hälfte der Strecke auch die Shopping“straße“ mit allen möglichen Salzprodukten nicht fehlen. 😉 Nach über zwei Stunden Führung waren wir langsam ausgehungert und so blieben wir im Restaurant – natürlich ebenso unter Tage gelegen – hängen. Die erste Begegnung mit polnischem Essen stand an und so bestellte ich mir das deftige polnische Nationalgericht Bigos, Sauerkraut mit verschiedenen Fleisch- und Wurstsorten geschmort. Lecker!

Auch den zweiten Tag in Krakau verbrachten wir eher untypisch in einem östlichen Außenbezirk, dem Arbeiterstadtteil Nowa Huta. Dieser Bezirk war 1949 ursprünglich als eigene Stadt gegründet worden, um den Arbeitern der dort angesiedelten Stahlindustrie eine Wohnstätte zu bieten.  Nowa Huta war als sozialistische Planstadt angelegt worden, soll heißen, dass von einem zentralen Platz alle Straßen sternförmig (bei Nowa Huta halbsternförmig) abgehen. Typisch sind zudem langgestreckte, dunkelgraue Häuserzeilen mit Arkaden, die mich streckenweise an die Architektur der Karl-Marx-Allee in Berlin erinnerte.  Nun ja, hübsch ist was anderes und das grieselgraue Dezemberwetter verstärkte eher noch den tristen Gesamteindruck. Erste Station war das „Museum Polens unter kommunistischer Herrschaft“ (Muzeum PRL-u) mit einer Ausstellung zu kommunistischen Regimen in Europa. Außerdem konnte man den eisekalten Bunker im Keller besichtigen. Das war echt ein bisschen gruselig zumal einen in den einzelnen Räumen Figuren mit Gasmaske erwarteten…

Hungrig vom Museumsbesuch landeten wir in einer typischen polnischen „Milchbar“, die eigentlich eher eine Art Kantine darstellt, in der es unschlagbar günstiges, weil staatlich subventioniertes Essen gibt. Wäre da nicht die Sprachbarriere gewesen… Es dauerte ewig bis wir auf der Speisekarte einigermaßen verstanden hatten, was es im Angebot gab, aber dann musste man sich den Namen des Gerichts auch noch irgendwie merken und vor allem halbwegs richtig aussprechen, damit die Dame an der Essensausgabe wusste, was man will. Ich bestellte der Einfachheit halber Borschtsch und Pierogi, war dann allerdings wieder völlig hilflos als die Dame mich irgendetwas auf Polnisch zu diesem Essen fragte und schließlich, weil ich nur Bahnhof verstand, mit einem Teller und zwei aufgeschnittenen Pierogi zurückkam. Nun war es klar – sie wollte wissen, ob ich Fleisch- oder Kartoffelfüllung haben wollte. Oh man, ich nahm mir vor, gleich diese Vokabeln nachzuschlagen und war froh, dass die Frau so geduldig mit mir gewesen war. In einer anderen Milchbar standen wir an einem anderen Tag vor demselben Verständigungsproblem bis die Frau an der Ausgabe eine Essenskarte auf Englisch aus der Schublade zauberte.  Unsere Rettung! In den Touristenrestaurants hatte man natürlich keinerlei Verständigungsprobleme, zahlte dafür aber auch entsprechend mehr. Und irgendwie war das Essenbestellen und -ausprobieren (in einer Milchbar) schon lange nicht mehr so lustig gewesen!

Nach einem Spaziergang in Nowa Huta kamen wir am Abend durchgefroren endlich ins historische Zentrum von Krakau und landeten gleich erst einmal im nächstbesten Café um uns mit Tee und Kaffee aufzuwärmen. Was wir abends bereits schön angeleuchtet sehen konnten, sollten wir am nächsten Morgen in strahlendem Sonnenschein erleben: den riesigen Hauptmarkt (Rynek Główny) mit Tuchhallen, Marienkirche und Rathausturm umrahmt von schön hergerichteten Renaissance- und Gotikhäusern. Mitten auf dem Platz gab es immer noch einen Weihnachtsmarkt und hier tummelten sich schließlich alle Touristen, von denen wir ins Nowa Huta gerade einmal eine Handvoll gesehen hatten. Maki und ich (Matt hatte sich ins Luftfahrtmuseum abgesetzt) statteten dem Wahrzeichen Krakaus, der Marienkirche einen Besuch ab und hatten Glück: Gerade als wir drin waren, wurde der riesige Flügelaltar geöffnet und gerade als wir auf dem Turm der Kirche waren, spielte der so genannte Türmer ein kurzes Triumphlied („Hejnał“) auf seiner Trompete zu den in alle vier Himmelsrichtungen abgehenden Fenstern hinaus.

Am nächsten Tag, Silvester, begaben wir uns früh zur ehemaligen Emaillefabrik von Oskar Schindler, in der sich heute ein Museum zur Zeit Krakaus unter der Naziherrschaft 1939-1945 befindet. Das Museum war superinteressant und sehr gut gemacht, aber leider hatten viel zu viele Leute dieselbe Idee wie wir gehabt dieses Museum zu besichtigen und so war es einfach unerträglich voll und stickig. Neben den Einzelbesuchern wurden zu allem Übel auch noch riesige geführte Truppen durch die engen Gänge des Museums geschleust und machten es schwer für mich, mich auf die Ausstellungstexte zu konzentrieren. Als wir am Frühnachmittag aus dem Museum rausgingen, sahen wir allerdings dass wir noch Glück gehabt hatten, da die Leute nun bis draußen Schlange standen. Wir besichtigten noch die Adlersapotheke im ehemaligen jüdischen Ghetto und fuhren dann hinüber in die Altstadt.

Den Abend ließen wir auf dem Burgberg Krakaus, dem Wawel, ausklingen. Nach einem silvesterlichen Pizzaessen bei unserer Unterkunft in der Nähe fuhren Maki und ich erneut ins Stadtzentrum, um uns das Feuerwerk am Hauptmarkt anzuschauen. Dieses sollte, wie die Veranstalter ankündigten, „tierfreundlich“ sein, d. h. auf Knaller verzichten, was mir auch sehr entgegen kam – also auch ein „Conny-freundliches“ Feuerwerk sozusagen. 😉 Nach dem mitternächtlichen Farb- und Raketenspektakel war aber auch ganz schnell „Schicht im Schacht“ – die Leute brachen keine Viertelstunde später auf und verließen den Hauptmarkt größtenteils Richtung nach Hause. Alles verlief erstaunlich ruhig und gesittet, ja fast langweilig. Nur in unserem Außenbezirk wurde ordentlich geknallt, so dass das Echo der Böller zwischen den Plattenbauwänden durch die Nacht dröhnte.

Am Sonntag, dem ersten Tag des neuen Jahres, aber auch meinem letzten Reisetag, krachselten wir auf einen im Süden der Stadt gelegenen Hügel hinauf und hatten einen mehr oder weniger weiten Blick über Krakau. Leider weist die Stadt eine sehr hohe Luftverschmutzung auf, so dass der Smog das Stadtzentrum nur schemenhaft erkennen ließ. Vom Hügel aus liefen wir über die Weichsel hinüber ins jüdische Viertel Kazimierz. Zum Einen stehen hier noch zahlreiche alte Synagogen, zum Anderen hat hier das moderne Hippstertum Einzug gehalten: Stylische Cafés und Restaurants mit vorwiegend israelischer Nahostküche à la Hummus & Co., bröckelnde, mit Streetart versehene Häuserfassaden, kleine nette Schnick-Schnack-Läden, etc.

Ich hätte es nie gedacht, aber die fünf Tage in Krakau waren wie im Flug vergangen und wir hätten auf jeden Fall noch einige weitere Tage benötigt, um alle Sehenswürdigkeiten der Stadt abzuklappern. Naja, das nächste Mal dann vielleicht im Sommer! 😉