Und plötzlich ist Sommer

Gerade eben war doch noch Karneval gewesen, oder? Heute stellte ich mit Erstaunen fest, dass ja bereits der 1. Juni, und somit der meteorologische Sommer, angebrochen ist. Den ganzen Frühling haben wir schon in der Ausnahmesituation und ständig wechselnden Regelungen verbracht! Wie die Zeit vergeht! Doch eigentlich hätte ich es merken müssen, denn meine Haare sind lang geworden – so lang wie schon lange nicht mehr. Der letzte Friseurbesuch in Berlin im Februar scheint eine gefühlte Ewigkeit her zu sein.

Der Corona-Cut hat mein Zeitempfinden ziemlich durcheinandergewirbelt. So gibt es Ereignisse wie den Karneval, der erst gestern gewesen zu sein schien – vermutlich, weil es danach bis heute keine nennenswerten Großereignisse mehr gab. Aber letzte Woche hatte ich zum ersten Mal das bleierne Gefühl, dass wir schon seit etlichen Monaten im Corona-Ausnahmezustand verharren und jeder Tag wie der andere ist. Dabei sind seit meinem permanenten Gang ins Homeoffice am 18. März 2020 und der fast kompletten Reduzierung längerer physischer Face-to-Face-Kontakte gerade einmal knapp 2,5 Monate vergangen. In dieser Zeit habe ich sämtliche Face-to-Face-Kontakte auf gerade einmal zehn (!) Personen beschränkt, mit denen ich mich auch mal länger als eine Viertelstunde getroffen habe. Wahnsinn, wenn ich im Nachgang so darüber nachdenke! Dafür ist der Kontakt zu anderen Personen virtuell intensiver geworden, insbesondere der zu meinen Arbeitskolleginnen und -kollegen. Nach wie vor ist es so, dass ich an manchen Tagen einfach nur fix und fertig von den vielen Videokonferenzen bin und kein Bedürfnis mehr habe am Abend privat weiter zu telefonieren. Die Arbeit ist intensiver, der Workload dichter geworden und ich befürchte, dass es schon fast zum Normalzustand geworden ist. Der langersehnte und bitter nötige Urlaub Anfang Juli steht aber vor der Tür! Wo es hingeht? „Staycation“ (Mix aus „stay“ = bleiben & „vacation“ = Ferien) ist angesagt – Bayern ruft!

Maskenball

An manchen Tagen vergesse ich, in welcher Ausnahmesituation wir uns nach wie vor befinden. Insbesondere wenn ich in der Natur und am Rhein unterwegs bin. Hier trifft man kaum auf maskentragende Menschen, die für mich das augenscheinlichste Indiz dieser Krise sind. Erst der Weg zum Bahnhof, zu einer ÖPNV-Haltestelle oder einem Geschäft holen einen in die Realität zurück „Verdammt, in welche Tasche habe ich die Maske denn nun schon wieder gesteckt?“ und das Kramen geht los.

Ich erinnere mich noch an den Tag als ich das erste Mal mit Maske einkaufen gehen musste (die Maskenpflicht in NRW wurde am 27. April 2020 eingeführt). Das Wochenende vorher hatten zum ersten Mal kleinere Geschäfte wieder geöffnet und man konnte noch ohne Maske einkaufen gehen. Doch aufgrund des bundesweiten Flickenteppichs an Maskenregelungen schwebte die Maskenpflicht ohnehin wie ein Damoklesschwert über allem und es war nur eine Frage der Zeit bis sie in ganz Deutschland eingeführt werden würde.

Ich hatte im März angefangen Stoffspenden für eine Frau zu sammeln, die in Heimarbeit Masken für medizinisches Personal herstellte. Bei der Stoffübergabe hatte sie mir zwei Masken als Geschenk mitgegeben. In dem Moment ging ich fest davon aus, dass ich diese niemals brauchen würde. Doch bereits am noch maskenfreien Einkaufswochenende wusste ich, dass es ab Montag nicht mehr „oben ohne“ gehen würde. Ich kam an einer kleinen Boutique vorbei und entdeckte kunterbunte Gesichtsmasken aus westafrikanischen Stoffen im Schaufenster. „Na wenn ich schon so ein Ding aufsetzen muss, dann wenigstens eins mit Stil.“ dachte ich mir und kaufte mir noch eine weitere Maske, die am darauffolgenden Montag dann zum ersten Mal zum Einsatz kommen sollte. An jenem 27. April stand ich vor „dm“ und setzte mir das Stoffstück mir umständlich und ein bisschen geniert auf. Das Atmen und Sprechen fiel mir schwer, die Ausatemluft ließ meine Brille beschlagen und ich war froh, die Maske draußen wieder absetzen zu können. Mittlerweile habe ich mich eigentlich daran gewöhnt, auch wenn ich den Anblick meiner Mitmenschen mit Maske immer noch befremdlich finde. Die durchsichtigen Visiere wären da vielleicht eine Alternative, auch wenn die echt doof aussehen. Aber was bedeutet schon Hässlichkeit angesichts dieser Ausnahmesituation?

Viele erste Male

Die Tatsache in der Coronazeit mit stückweisen Lockerungen zu leben, lässt Einen gewohnte Alltagssituationen wieder „zum ersten Mal“ erleben:

  • Das erste Mal mit Maske einkaufen gehen (siehe oben).
  • Das erste Selfie mit Maske.
  • Das erste Mal wieder Klamotten shoppen dürfen.
  • Das erste Mal wieder Klopapier und Desinfektionsgel im Laden finden.
  • Das erste Mal wieder in einem Restaurant essen (bei mir war es Sushi).
  • Das erste Mal wieder ins Museum gehen – etwas anstrengend, weil man die ganze Zeit Maske tragen muss, aber durchaus machbar und wunderbar leere Museumsräume (was natürlich für das Museum nicht so erfreulich ist).
  • Das erste Mal wieder Besuch empfangen.
  • Das erste Mal wieder eine längere Strecke Zug fahren.
  • Das erste Mal ins Freibad gehen (morgen – mit vorabgekauftem, personalisiertem Eintrittsticket).
  • Das erste Mal wieder ein paar Tage wegfahren. (Seit dem 12. März bis zum 30. Mai 2020 war ich, wenn dann, nur zu Tagesausflügen unterwegs gewesen. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal eine so lange Zeit an einem Ort verbracht habe. 😉)
  • Das erste Mal wieder für zwei Wochen in den Urlaub fahren (bald – juhuuu!).

Durch die ständigen Änderungen und den bundesweiten Flickenteppich an Regelungen stellt man sich auf einmal Fragen wie „Wie ist das jetzt eigentlich mit Kinobesuchen?“ oder „Mit Leuten aus wie vielen verschiedenen Haushalten darf man sich eigentlich gerade treffen?“ oder „Wann machen die Schwimmbäder wieder auf?“. Scheinbar banale Alltagsfragen, die aber zeigen, wie sehr unsere bisher gelebten Selbstverständlichkeiten und Privilegien auf den Kopf gestellt wurden. Wir sollten dankbar und ja, auch ein bisschen demütig sein, dass wir so langsam wieder all das tun dürfen, das vorher so normal und unhinterfragt unseren Alltag ausmachte. Vielleicht lernen wir Dinge neu wertzuschätzen.

Positive Aspekte

Die Lockdown-Situation hat mir klar gemacht, dass ich auf externe Inputs durchaus auch verzichten kann. Natürlich wäre ich liebend gerne weiterhin ins Kino, ins Museum, zu meinem Chor und meinem VHS-Sprachkurs gegangen. Natürlich hätte ich gerne meine sportlichen Aktivitäten im Schwimmbad und Yogastudio fortgesetzt. Natürlich hätte ich mich gerne mit Freunden im Restaurant oder mit meinen Kollegen im Büro getroffen. Und natürlich wäre ich weiterhin gerne Freunde und Familie besuchen gefahren. All diese „externen“ Aktivitäten haben die größte Zeit meines Alltags vor Corona bestimmt und sind mit Beginn des Lockdowns komplett zum Erliegen gekommen. Doch hier kommt die berühmte „Resilienz“ ins Spiel: Ich habe meinen Alltag so flexibel umgestaltet, dass ich fast all diesen Einschränkungen etwas Positives abgewinnen konnte. Hier hat mir sicher auch meine Erfahrung aus dem Leben in anderen Ländern geholfen, denn dort hatte ich nie einen Alltag wie in Deutschland leben können und hatte mich in meiner Freizeitgestaltung immer an den Gegebenheiten vor Ort anpassen müssen.

In meiner neuen Coronafreizeitgestaltung fand ich auf einmal Zeit, um…

  • … meinen Reiseblog zu reaktivieren
  • … mit Freunden virtuell zu sprechen, mit denen ich lange nicht telefoniert hatte
  • … die schöne Umgebung Bonns und Bonn selbst zu erkunden
  • … wieder mit Foodsharing anzufangen
  • … zu kochen und neue Rezepte auszuprobieren
  • … Bücher zu lesen, die schon seit Monaten darauf warteten gelesen zu werden
  • … mir Dokus zu Themen anzuschauen, mit denen ich mich schon seit Ewigkeiten einmal beschäftigen wollte (Geschichte des Christentums, deutsche Geschichte, Lokalgeschichte des Rheinlandes)
  • … zu Hause Yoga zu machen (Um mich motivieren zu können, brauchte ich sonst immer einen festen, externen Termin, wo ich ins Yogastudio fahren musste. Nun freue ich mich über die Flexibilität und das große Angebot einer Online-Yoga-Plattform.)
  • … virtuell Sprachunterricht zu nehmen
  • … „Die ZEIT“ zu lesen

Klar, gewisse Aktivitäten, wie z. B. schwimmen gehen, im Chor singen oder ins Kino gehen, konnte ich so nicht ersetzen. Aber hierfür hoffe ich auf baldige corona-kompatible Lösungen und freue mich umso mehr, wenn ich ihnen wieder nachgehen darf.

Auch wenn die Gefahr des Virus‘ gerade angesichts der Lockerungen zunehmend abstrakt erscheint, so versuche ich mir immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass es in meinem Bekannten- und Freundeskreis doch konkrete Bezugsfälle zur Krankheit gibt: So war ein Familienmitglied eines Arbeitskollegen als Risikopatient an Corona erkrankt, überlebte aber zum Glück. Ein Freund von Freunden hingegen ist tatsächlich an Corona gestorben. Ich kenne die Berichte der italienischen Verwandten einer Freundin, die mit dem totalen Lockdown klarkommen mussten und habe mit Freunden in Frankreich geskypt, die sich wochenlang nur eine Stunde pro Tag hinausbegeben und sich nur in einem 1 km-Radius um ihre Wohnung herum bewegen durften. Da sind wir in Deutschland, insbesondere in NRW, noch mit einem „blauen Auge“ davongekommen! Ich beobachte weiterhin mit Spannung die aktuellen Entwicklungen und überlege schon, welche Änderungen ich persönlich auch nach der Coronazeit beibehalten werde. Dazu sicher mehr im nächsten Blogpost! Bleibt weiterhin gesund, haltet physischen Abstand & rücksichtsvoll!

100 Jahre Einsamkeit? Oder: Wie der absurde Ausnahmezustand zum normalen Dauerzustand wird

Auch für den Titel meines zweiten Blogeintrags zum allgegenwärtigen C-Thema bemühe ich wieder Gabriel García Márquez, denn wie „100 Jahre Einsamkeit“ fühlt es sich langsam wirklich an. Wobei man ja zwischen „einsam“ und „allein“ unterscheiden muss. Das ZEIT Magazin vor zwei Wochen wählte den schönen, passenden Titel zu den gegenwärtigen Maßnahmen: „Nie war es so wichtig, gemeinsam allein zu sein.“

Seit meinem letzten Eintrag vor etwa zwei Wochen ist Einiges geschehen und so möchte ich hier wieder meine Beobachtungen und Gedanken teilen:

Die Ruhe vor dem Sturm vs. Sturmflut

Hatte sich in den ersten Tagen nach Schließung aller Kultureinrichtungen und nicht überlebensnotwendiger Geschäfte und der Verlagerung meiner Arbeit ins Homeoffice noch eine tiefe Gelassenheit ob des fehlenden Zeit- und Termindrucks breitgemacht, hat sich das Blatt nun mittlerweile um 180° gewendet – zumindest im beruflichen Kontext: Wir erfahren eine regelrechte „Sturmflut“ an Anfragen bezüglich unserer Onlinelernplattform, auf die wir nun auch versuchen, Online-Lerninhalte zum Thema Corona bereitzustellen. Manchmal bin ich schon mittags von den vielen Videokonferenzen völlig erschöpft und merke, mit wie viel mehr Kommunikationsaufwand die reine Onlinekommunikation verbunden ist. In täglichen virtuellen Stand-Up-Meetings mit meinem Team berichtet jede*r, an was er gerade arbeitet und wo er oder sie noch Hilfe benötigt. (Das nennt man auch „Working out loud“-Prinzip, d. h. man „arbeitet laut heraus“.) Eigentlich eine sehr gute Methode, durch die ich mich besser und strukturierter informiert fühle, wie als wenn wir alle in Präsenz im Büro wären. (Da gibt es nämlich nur einmal wöchentlich ein Teammeeting.) Aber wie gesagt, der Abstimmungsaufwand ist enorm und ich freue mich bald schon wieder auf Teammeetings „live und in Farbe vor Ort“.

Never Ending Story

Doch mit den Videokonferenzen auf Arbeit ist es nicht getan: Auch bei Gesprächen mit vielen Freunden, bei „Social Events“ mit meinen Kollegen oder bei kulturellen Inputs führt momentan kaum ein Weg an der Videokonferenz vorbei. So habe ich mit anderen relativ neuen Kollegen zusammen schon einen virtuellen Einstand organisiert und war heute bei einem virtuellen Ausstand einer Kollegin eingeladen. Mit Freunden zusammen habe ich schon virtuell Wein getrunken, virtuell zu Abend gegessen und virtuelle Wohnungsbesichtigungen vorgenommen. Letzte Woche nahm ich an einer ersten virtuellen Vortragsreihe der Reiseagentur alsharq teil, bei der Partner*innen vor Ort zur Coronalage in Israel und Palästina berichteten. Die Veranstaltung wurde gleichzeitig über „Zoom“ (haben leider massive Datenschutzprobleme!) und über einen Facebook-Livestream (Datenschutz, was ist das? 😉) verbreitet und hat mir mal eine andere Sicht auf die Lage vermittelt – z. B. wurde berichtet, dass sich Corona in vielen ultraorthodoxen jüdischen Gemeinden in Israel besonders stark ausbreitet, weil diese sich aus religiösen Gründen nicht an das „Physical Distancing“ (so heißt das jetzt korrekt 😉) halten wollen). Dieser Spiegel-Online-Artikel vom 3. April 2020 beschreibt die Lage vor Ort: Der Messias gegen Covid-19.

Noch ein kulturelles Schmankerl zum Schluss: Der Pianist Igor Levit streamt jeden Abend um 19 Uhr über Twitter ein Klavierkonzert aus seinem Wohnzimmer. Am 4. April 2020 wurde es etwas formeller, denn an diesem Abend hatte ihn Bundespräsident Steinmeier ins Schloss Bellevue zum Livekonzert (natürlich mit Sicherheitsabstand) eingeladen, um somit auf die prekäre Lage von Künstlern in dieser Zeit aufmerksam zu machen.

Nachrichtenwellen

Für mich als Medienwissenschaftlerin sind natürlich auch das „Agenda Setting“, also die „Nachrichtenwellen“ dieser Tage (um ein weiteres maritimes Bild zu verwenden), sehr interessant. Waren es am Anfang noch Jugendliche, die wegen so genannter „Coronaparties“ am Pranger standen (niemand schrieb hingegen über die vielen älteren Menschen, die immer noch zu Hauf einkaufen gehen), so gingen die Medien danach dazu über, v. a. über die fatalen wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise zu berichten. Nachdem dann über mögliche Exit-Strategien nachgedacht wurde, hat nun die „Maskenpflicht“ Hochkonjunktur. Meine alte Unistadt Jena ist hier vorgeprescht und hat die Maskenpflicht in Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr seit dem 6. April 2020 eingeführt. Wie sinnvoll es ist, die Maskenpflicht deutschlandweit in einer einzigen Stadt einzuführen, ist fraglich, aber gut, immerhin ein Tropfen auf den heißen Stein. In Zeiten von Corona offenbart sich die deutsche Kleinstaaterei wieder einmal in ihrer ganzen Bandbreite – mit Einzellösungen der Bundesländer, der Städte und sogar einzelner Stadtbezirke – typisch Berlin: in Mitte waren bis vor Kurzem alle Spielplätze gesperrt, im angrenzenden Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hingegen nicht.

Wie auf Kuba: Schlange stehen beim Einkaufen

Mittlerweile habe ich mich an diesen Anblick gewöhnt: Menschenschlangen vor den Geschäften und Marktständen. Jede*r hält ca. 1,5 m Abstand zum Vordermann; der Einlass wird durch einen Sicherheitsdienst geregelt. Kommt ein Kunde raus, darf ein anderer rein. Kuba-Déjà-Vu, nur, dass man weniger wegen zu knapper Güter Schlange steht (außer vielleicht Klopapier 😉), sondern vielmehr aus gegenseitiger Rücksichtnahme. Als ich einmal bei meinem türkischen Bäcker des Vertrauens in der Bonner Altstadt Brot kaufen wollte und die ungeordnete Schlange davor sah, war das Kuba-Feeling fast perfekt, als ein neu hinzugekommener Kunde fragte „Wer ist der Letzte?“ (siehe mein Blogeintrag „Havanna! – Start meiner Offline-Ferien in Kuba“).

In meiner Heimatstadt Dresden werden übrigens sogar die Einkaufswagen desinfiziert bevor sie der nächste Kunde benutzen darf! Das habe ich hier in Bonn noch nie beobachtet!

Vor zwei Wochen wagte ich mich Samstagnachmittag noch einmal in die Bonner Innenstadt. Eigentlich eine rammelvolle Einkaufsmeile zur Haupteinkaufszeit, aber diesmal, das Gefühl, an einem Sonntag durch die Innenstadt zu laufen, nur, dass eben Samstagnachmittag war. An allen Geschäften hingen selbstverfasste Hinweiszettel zur vorübergehenden Schließung des Geschäfts – mal emotional-traurig, mal humorvoll, mal geschäftstüchtig mit Hinweis auf den Onlineshop und Lieferservice. Aber trotzdem: irgendwie ein deprimierender Anblick.

Solidarität leben

Mittlerweile kann ich mich auch ein bisschen für meine Umgebung nützlich machen und bin über eine Facebookgruppe, die sich „Corona Hilfe Bonn“ nennt, auf diese zwei Privatinitiativen gestoßen: Da fast alle sozialen Einrichtungen und „Tafeln“ in Bonn geschlossen sind, gibt es die private Initiative von Jörn Sloot, der sich fast jeden Tag in der Nähe des Hauptbahnhofs mit seinem Lieferauto hinstellt und Essen an Obdachlose verteilt. Ich habe ihm auch schon Essensspenden vorbeigebracht und teile hier mal den Flyer für alle in Bonn Wohnenden:

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Des Weiteren sammele ich gerade Spenden von Baumwollstoffen, Nähgarn und Gummibändern für eine Frau, die Mundschutzmasken für medizinische Einrichtungen näht. Wenn ihr also etwas zu spenden habt, könnt ihr das gerne bei mir vorbeibringen und ich leite es an sie weiter. Die Bonner Freiwilligenagentur hat just heute eine ähnliche Aktion gestartet und sucht ehrenamtliche Maskennäher*innen sowie Stoffspenden. Schaut doch mal bei der Freiwilligenagentur in eurer Stadt vorbei – dort gibt es sicher auch Möglichkeiten der Nachbarschaftshilfe oder Spendenoptionen!

Ansonsten sucht die NGO „Translators without Borders“ gerade freiwillige Übersetzer für Infomaterialien zu Corona, v. a. für asiatische Sprachen: https://translatorswithoutborders.org/covid-19

Den Humor nicht verlieren

Zu guter Letzt teile ich ein paar Kuriositäten aus „Coronistan“ mit euch:

Katholische Kirche erlässt gläubigen Infizierten ihre Sünden (Deutsche Welle, 20.03.20)

Polen setzt beschlagnahmten Wodka als Desinfektionsmittel ein (Spiegel Online, 20.03.20)

McDonald’s-Mitarbeiter helfen bei Aldi aus (Spiegel Online, 20.03.20)

Solidarität und Humor in Zeiten von Corona (Deutsche Welle, 29.03.20)

Musik gegen Corona-Langeweile (Deutsche Welle, 16.03.20)

Mittlerweile halte ich draußen nicht mehr bei jedem Vorbeigehenden intuitiv die Luft an (um ja kein ausgeschiedenes Tröpfchen einzuatmen) und mittlerweile habe ich tagsüber eine richtige Homeoffice-Routine und abends eine Zu-Hause-Routine entwickelt – der Ausnahmezustand wird langsam zum Normalzustand. Wie lange noch? Tja, „the answer my friend, is blowing in the wind…“. In diesem Sinne: Haltet durch und bleibt gesund!

 

Das Leben in den Zeiten der Corona

Es ist doch ironisch: Da habe ich meinen Reise- und Fotoblog hier nun seit zwei Jahren nicht mehr aktualisiert und nun fange ich das Bloggen ausgerechnet in einer Zeit allgemeiner Reisebeschränkungen wieder an: Es herrscht weltweiter Ausnahmezustand wegen des Coronavirus‘ Covid-19, auch SARS-CoV-2 genannt (Coronaviren stellen eine Virenfamilie dar, d. h. es gibt verschiedene Unterarten). Historisch gesehen ist die Viruspandemie keineswegs ein Einzelfall (siehe Pest, Cholera, AIDS, SARS & Co.), aber für mich und vermutlich die meisten in meinem Umfeld ist die direkte Betroffenheit durch die Maßnahmen zur Viruseindämmung etwas gänzlich Neues, Unvorhersehbares, Beunruhigendes. Daher brannte es mir förmlich in den Fingern, auf diesem Blog ein paar Gedanken und Erlebnisse der letzten Tage festzuhalten.

Seit Anfang des Jahres war ich (wie immer 😉) wahnsinnig viel unterwegs gewesen: Umzug für meinen neuen Job von Berlin nach Bonn, Wohnungsabgabe in Berlin, zur Fortbildung nach Frankfurt/Main, Dresden, zwischendurch der erste Karneval im Rheinland, Luxemburg, für die „Berlinale“ nach Berlin, Darmstadt, erneut Frankfurt/Main, Köln und Koblenz. Ich freute mich schon darauf, endlich einmal ein paar ruhige Wochenenden in Bonn verbringen zu können. Tja, das kam dann auch schneller als gedacht und zwar auf unbestimmte Zeit – dem Virus „sei Dank“.

Noch letzte Woche bekam ich am Freitag Besuch eines Freundes aus Kassel. Wir trafen uns nach der Arbeit vor der städtischen Bibliothek, da ich für das Wochenende noch ein paar Reise- und Wanderführer für Bonn und Umgebung ausleihen wollte. Weil ich weder mit den fünf Büchern noch meinem Arbeitslaptop (den ich schon in weiser Voraussicht eingepackt hatte) im Rucksack Sightseeing machen wollte, schloss ich alles in ein Bibliotheksschließfach ein und wollte es bis 19 Uhr wieder abholen. Wir gingen auf Sightseeingtour, tranken einen Kaffee im herrlich altmodischen Café Fassbender und kamen kurz nach 18 Uhr zurück zur Bibliothek. Als wir sie durch die Drehtür betraten, tönte uns die Stimme des Sicherheitsmannes entgegen: „Sie kommen hier nicht mehr rein. Wir haben geschlossen.“ Mir rutschte das Herz in die Hose. „Aber ich habe noch Sachen im Schließfach eingeschlossen.“, sagte ich. „Die können Sie eventuell am Montag abholen, ansonsten hat die Bibliothek jetzt bis 19. April geschlossen.“, so der Sicherheitsmann. Die Stadt Bonn musste also just in der Zwischenzeit, als wir auf Sightseeingtour gewesen waren, beschlossen haben, alle städtischen Kultureinrichtungen wie Museen, Bibliotheken, Volkshochschulen, etc. schließen zu lassen – und zwar ab sofort. Nach einer weiteren Diskussion mit dem Sicherheitsmann stellte sich heraus, dass gerade noch der letzte Bibliotheksmitarbeiter im Gehen begriffen war. Er nahm mich als letzte Amtshandlung mit nach oben in die Bibliothek, wo ich meinen Schließfachinhalt abholen konnte. Nach einem Ausweis o.ä. wurde ich nicht gefragt… Egal, da hatte ich gerade noch einmal Glück gehabt! Ironie des Schicksals: Die Reise- und Wanderführer zu Bonn und Umgebung habe ich nun erst einmal auf unbestimmte Zeit ausgeliehen und werde sie an den Wochenenden „durcharbeiten“ können insofern es zu keinen weiteren Bewegungsbeschränkungen kommt. 😉

Noch am Samstag absolvierte ich mit meinem Besuch eine kulinarische Stadtführung von „Eat the World“ (kleine Schleichwerbung, aber sehr zu empfehlen!) durch mein Stadtviertel Bonn-Beuel, wo wir sieben inhabergeführte Läden (Cafés, Fischladen, Kiosk, Kaffeerösterei) mit deren Entstehungsgeschichte und leckeren Kostproben kennenlernten und nebenbei viel über die Hassliebe zwischen dem linksrheinischen Bonn und dem rechtsrheinischen Beuel erfuhren. Ich hoffe, dass diese kleinen Läden die Coronakrise überstehen werden – stehen sie doch sinnbildlich für alle Selbstständigen, die sich nicht mit einem regulärem, gesicherten Gehalt ins Homeoffice begeben können. Auf Spiegel Online kann man dazu die traurig stimmenden „Elf Protokolle der Unsicherheit“ lesen.

Fun Fact: Beim Einkauf in Bonn-Beuel hörte ich an der Kasse doch tatsächlich den Spruch „Na, über den Rhein kommt das Coronavirus aber nicht.“ Der Spruch versinnbildlicht sehr gut die eben genannte Hassliebe zwischen Bonn und Beuel. Letzteres ist heute ein Stadtteil Bonns, besaß aber von 1952 bis 1969 eigene Stadtrechte, die die Bewohner nur unter Protest aufgaben. In früheren Zeiten war Beuel zudem immer wieder bei Angriffen auf Bonn in Mitleidenschaft gezogen worden, so dass man schließlich auf beiden Rheinseiten eigene Festungen hochzug. Beuel entwickelte sich im Zuge der Industrialisierung zu einem Zentrum von Wäschereibetrieben und Fabriken (Tapetenherstellung, Jutespinnereien, Brotfabrik (heute ein gleichnamiges Kulturzentrum)). Der Beueler Eigensinn zeigte sich nicht zuletzt in seinen Waschweibern, die 1824 den Aufstand wagten und die bisher nur den Männern vorbehaltenen Karnevalsfeiern auch für sich beanspruchten. Die meisten kennen vermutlich Weiberfastnacht, bei denen die Frauen in vielen Regionen das Rathaus erstürmen und allen Männern, die ihnen in die Quere kommen, die Krawatte (stellvertretend für etwas anderes 😉) abschneiden. Tja, dieser Brauch ist in Beuel entstanden! Wieder was gelernt!

Samstagabend begaben wir uns noch auf einen Trip nach Köln, wo eine Freundin ihren Geburtstag in einer Crêperie feiern wollte. Wir waren zunächst die einzigen Gäste, wobei sich das Restaurant nach und nach doch noch füllte. Später in den Kneipen der Umgebung: Gedränge – es war bereits bekannt, dass vom folgenden Tag an alle Kneipen und Bars in Köln würden schließen würden – man hatte den Eindruck, alle nutzten noch einmal die letzte Gelegenheit zum gemeinsamen Trinken und Feiern. Wir hielten uns an den Rat der Virologen und verordneten uns frische Luft und Flaschenbier mit einem Spaziergang durch den Rheinauhafen bis hoch zur Aussichtsterrasse des Kölner Schokoladenmuseums. Dort stießen wir mit zwei Flaschen Sekt an, sangen ein paar Karnevalslieder und machten uns schließlich auf den Rückweg nach Bonn. Ein Hauch von Wehmut lag über der Nacht. P. S.: Die Restaurants in Köln sollten am darauffolgenden Dienstag (17. März 2020) komplett schließen. Hier in Bonn sind sie noch offen…

Den Sonntag nutzten wir, um den im Süden von Bonn liegenden Drachenfels zu besteigen. Im Zug waren wie an einem gewöhnlichen Sonntag auch viele Ausflügler unterwegs – Studentengruppen, Wandergruppen in Funktionskleidung wie als würden sie Mt. Everest besteigen wollen, Familien, etc. Wir fuhren bis Rhöndorf, einem Stadtteil von Bad Honnef, besuchten den Waldfriedhof samt Grabstätte Konrad Adenauers und stiefelten dann den steilen Weg zum Drachenfels hinauf. Oben angekommen traf mich fast der Schlag: Auf den Stufen rund um das Ausflugsrestaurant hockten hunderte Menschen zusammen und genossen die Sonne! „Da hätte ich in einem Museum aber Kontakt zu deutlich weniger Menschen gehabt“, schoss es mir bei diesem Anblick durch den Kopf. Eine Kollegin erzählte mir Ähnliches aus Berlin, wo sie am Wochenende noch nie so viele Menschen auf dem Tempelhofer Feld habe zusammensitzen sehen. Ein verrücktes, schizophrenes Phänomen! Die Realität aus dem nicht wirklich umgesetzten „Social Distancing“ und die Medienrealität mit dem allgegenwärtigen Coronathema scheinen an bestimmten Orten Deutschlands momentan noch ziemlich stark auseinanderzuklaffen. Andere Themen sollten dabei jedoch nicht untergehen, wie die dramatische Lage im Flüchtlingslager Moria (Deutsche Welle: Interview zur aktuellen Situation mit „Ärzte ohne Grenzen“).

Das Social Distancing funktioniert auf dem Drachenfels noch nicht so gutSoweit der Wochenendbericht. Vorgestern war ich noch einmal im fast leeren, gespenstisch wirkenden Büro gewesen und nahm mir alles Material mit, das ich für die kommende, unbestimmte Zeit im Homeoffice brauchen würde. Aus dem Bürofenster beobachtete ich einen seilspringenden Mitarbeiter im Bürogebäude gegenüber. Ein Vorbote auf künftige sportliche Aktivitäten zu Hause? Unsere gemütliche Kaffeeecke war schon, da nicht „Social Distancing“-fähig, gesperrt; in der Kantine hielten sich alle an den 1m-Abstand zum Sitznachbarn und ließen immer einen Platz neben sich frei. Für externe Gäste war die Kantine nun gesperrt worden. An der Essensausgabe setzte man nicht mehr auf Selbstbedienung (Tablett, Besteck, Nachtisch), sondern das Küchenpersonal gab alles an uns heraus, was mich in meiner Essensroutine kurz irritierte.

Sämtliche Arbeitsmeetings werden von nun an per Videokonferenz abgehalten – nach heute drei Videokonferenzen sowie weiteren Arbeitsstunden zu Hause war ich froh, am Abend noch ein bisschen am Rhein spazieren gehen zu können. Gestern habe ich seit Jahren mal wieder mit Joggen angefangen – irgendwie muss man sich ja fit halten, wenn sämtliche Yoga- und Fitnessstudios geschlossen sind. Diese Idee hatten auch andere und so war das ganze Rheinufer mit emsigen Joggern und Fahrradfahrern gesäumt. Na, ob das im Sinne des „Social Distancing“ ist? Ich musste schmunzeln: Auf einem der Fähranleger hatte ein Mann sein Schlagzeug aufgebaut und gab ein Ständchen für alle Vorbeikommenden. Ich beobachtete weitere Leute, die ihre Gesellschaftsspiele mit nach draußen gebracht hatten und munter bei einem Bier spielten. Da ich keinen Vergleich zu einem „normalen“ Frühling in Bonn habe, kann ich gar nicht sagen, ob dies alles Phänomene der Coronakrise sind oder nicht. Ich vermute aber, dass es viele der „nine to five“ arbeitenden Menschen nach einem Tag Homeoffice ins Freie zieht. In „normalen“ Zeiten würden sie sich abends eigentlich in einem Fitness- oder Yogastudio, einem Volkshochschul- oder Musikschulkurs oder im Theater, Kino oder einem Restaurant oder einer Bar „verkriechen“ und im öffentlichen Raum nicht sichtbar sind. Vor allem fielen mir auch die vielen Schüler draußen auf, die ja nun seit Freitagnachmittag schulfrei haben. In den Medien ist immer wieder von „Coronaparties“ feiernden Schülern die Rede – doch es gibt auch positive Beispiele wie ich heute an einem Laternenpfahl sah:

Die Coronakrise tue uns „[…] aus anthropologischer Sicht […] gut“, so die Aussage eines interviewten Italieners in der aktuellen ARTE-Serie zum Thema, und „dass wir nichts als selbstverständlich ansehen sollten und dass es sehr schwierig ist, einen unsichtbaren Feind zu bekämpfen.“ Diese Aussage finde ich interessant. Es sind die externen Umstände, die uns nun (langsam) zu einem Umdenken und einer Verhaltensänderung bewegen. Niemand kann sagen, wie lange diese außergewöhnlichen externen Umstände noch andauern werden – für viele ist es wohl das, was sie zutiefst beunruhigt, zumal, wenn es an die eigene Existenz geht. Ich wage mir aus meiner ohne Zweifel privilegierten Situation heraus aber auch zu sagen, dass ich persönlich diesen Moment der erzwungenen Entschleunigung und Reduzierung gerade als wohltuend empfinde. (Wie gesagt, für existenziell bedrohte Menschen muss das wie blanker Zynismus klingen!) Ich vergleiche die derzeitige Situation mit einer Situation, die ich 2016 erlebte, als ich wegen einer Fuß-OP für sechs Wochen das Haus hüten musste und mich nur kurz zum Einkaufen auf Krücken nach draußen schleppen konnte. Vorab dachte ich „Um Gottes Willen, wie soll ich diese Zeit nur überstehen? Ich werde vor Langeweile sterben.“ Aber dann wurde es (abgesehen von den Fußschmerzen) zu einer der besten Zeiten in meinem Leben. Die äußeren Umstände zwangen mich, physisch inaktiv zu sein. Der ganze Verabredungsstress in Berlin und die ständige Angst etwas zu verpassen (auch bekannt unter dem Kürzel FOMO = Fear of Missing Out) fielen einfach weg. Ich genoss es, ein Buch nach dem nächsten zu lesen, meine Habseligkeiten auszumisten und aufzuräumen (Marie Kondo sei Dank!) und – im Unterschied zur derzeitigen Krise – fast täglich Besuch von Freunden zu erhalten. Auch die derzeitige Coronakrise könnte uns dieses Innehalten und das Erledigen von Dingen ermöglichen, die wir schon seit Ewigkeiten vor uns herschieben (so wie ich die Aktualisierung dieses Blogs 😉). Aber eigentlich stimmt es mich nachdenklich, dass erst solche externen Umstände nötig sind, um mich zum Innehalten zu bringen… Aber vielleicht geht es euch ja genauso?

Ansonsten entstehen gerade viele Initiativen zur Nachbarschaftshilfe wie #Nachbarschaftschallenge, wo man sich einbringen kann und die die Coronakrise hoffentlich überdauern werden.

In diesem Sinne, bleibt gesund (wie man sich ja seit den letzten Wochen immer verabschiedet)!

P. S.: Falls sich jemand über den etwas gestelzt formulierten Titel des Blogeintrags wundert – er ist eine Anspielung auf den Roman „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ des kolumbianischen Autors Gabriel García Márquez. Kann mir das Buch jemand ausleihen? Ich nehme es gerne postalisch oder in den Briefkasten geworfen entgegen. 😉

P.P.S.: So wäscht man seine Hände richtig:

Theooooo, wie fahr’n nach Łódź

Das Lied kommt wohl jedem ins Ohr, wenn man von der polnischen Stadt Łódź, übrigens nach Warschau und Krakau die drittgrößte Stadt Polens, spricht. Wie ich aber gleich bei der Abfahrt am Berliner ZOB vom „Polskibus“-Fahrer lernte, so spricht man den Städtenamen nicht „Lodsch“, sondern „Wudsch“ aus. Warum ich da hingefahren bin? Nun ja, blöder Grund, aber ich wollte hauptsächlich meine freie Zeit bis zum Einstieg auf meiner neuen Arbeitsstelle nutzen, um meinen Kleiderschrank etwas aufzufüllen, sprich shoppen zu gehen. Und da können sich die Möglichkeiten in Łódź echt sehen lassen: Die Stadt weist nicht nur den längsten Boulevard Europas, die Piotrkowska-Straße, gesäumt von zahlreichen Geschäften, Restaurants und Hotels auf, der so lang ist, dass man sich mit Fahrradrikschas herumkutschieren lassen kann, sondern auch noch das riesige Shoppingcenter  „Manufaktura“. Ich bin ja nun echt kein Fan von Einkaufsmalls, aber „Manufaktura“ hat mir schon deshalb gefallen, da sie sich in einer ehemaligen Textilfabrik befindet und das ganze Gelände mit seinen roten Backsteinen echt toll aussieht.

Nach zwei Tagen Shoppingtour in „Manufaktura“, weiteren Malls und in einigen Läden rund um die Piotrkowska reichte es langsam und ich beschloss mir zum Einen etwas Entspannung im „Aquapark FALA“ inklusive gemischter Sauna (und das im katholischen Polen!) zu gönnen, und zum Anderen zumindest ein Museum zu besuchen. Ich schwankte noch zwischen dem Textilmuseum und dem Museum der Kinematographie, entschied mich aber für Letzteres, da ich im Studium einiges zur Łódźer Filmschule gelernt hatte, die Regisseure und Schauspieler wie Roman Polanski und Andrzej Wajda hervorgebracht hatte. Leider konnte das Museum meine Erwartungen etwas speziell zur Geschichte der Łódźer Filmschule zu erfahren nicht erfüllen. Es zeigte vielmehr historische Filmapparate und Kameras und zumeist mit Erklärungen nur auf Polnisch, so dass ich leider kaum etwas hinzulernen konnte. Was aber immerhin interessant war, war die Tatsache, dass sich das Museum im ehemaligen Karol-Scheibler-Palast befand, von dem man noch einige original eingerichtete Zimmer des Textilunternehmers besichtigen konnte. Unter dem Dach gab es zudem eine kleine Ausstellung zum polnischen Animationsfilm, die immerhin auch auf Englisch übersetzt worden war. Ich wusste z. B. gar nicht, dass einer der Mumins-Trickfilme eine polnische Produktion gewesen war.

Ins Kino schaffte ich es während meines Łódź-Aufenthalts leider nicht, aber immerhin konnte ich mich an der Street Art erfreuen, die es an vielen Ecken der Stadt zu entdecken gibt. Das Zentrum war an einigen Ecken ziemlich heruntergekommen – abblätternde Backstein- und Jugendstilfassaden, Häuser als halbe Ruinen, kaputte Fenster, triste Farben – und bildete einen krassen Kontrast zu den fancy Einkaufsmalls, den stylischen Straßenbahnhaltestellen und dem ultramodernen Kopfbahnhof Łódź Fabryczna, in dem sich auch der Busbahnhof der Stadt befindet. Der Bahnhof, der in seinem Innern irgendwie steril und menschenleer, aber trotzdem beeindruckend wirkt, wurde in Vorfreude auf die Expo 2022 renoviert, um deren Austragung sich Łódź derzeit bemüht. Ich denke auch, dass die Stadt touristisch unterschätzt wird – ich jedenfalls hätte noch ein paar Tage länger einfach nur zum Fotografieren da bleiben können, zumal ich viele weitere Museen und das jüdische Viertel nicht geschafft habe.

Übernachtet habe ich übrigens mal wieder via „AirBnB“ und musste dabei an meine Silversterreise nach Krakau mit Maki und Matthew denken. Ich wohnte, wie schon in Krakau, in einem Plattenbaugebiet ein bisschen außerhalb des Stadtzentrums. Mich ließ die Mutter der AirBnB-Vermieterin Anna hinein und ich übernachtete quasi in Annas früherem Kinderzimmer. Die Mutter sprach keine andere Sprache außer Polnisch, ich nur drei Wörter, aber wir verstanden uns trotzdem irgendwie was die Nutzung der Wohnung betraf. 😉

Ostern in Budapest. Tag 3 & 4: Spaßsozialismus, Berlinale-Gewinner und aktuelle Protestkultur

Der dritte Tag meiner Budapestreise stand ganz im Zeichen der Geschichte: Zunächst nahm ich Metro und Bus um in einen schon fast kleinstädtisch wirkenden Außenbezirk der Stadt zu fahren und dort den „Memento Park“ zu besuchen. Dieser wirbt etwas reißerisch mit den „größten Statuen des Kalten Krieges“ und stellt eine Art Denkmalfriedhof dar, auf dem sozialistische Denkmäler ausgestellt sind, die man nach dem Ende des Sozialismus‘ 1989 aus der Stadt verbannen wollte. Wie auch in Berlin wirbt der Park mit einer gewissen Hipness des Sozialismus‘; die Besucher sollen angeregt werden, lustige Fotos mit den Statuen zu machen, ein Trabbi steht ebenso als Fotomotiv bereit und schon am Kassenhäuschen dudeln einem kämpferische sozialistische Lieder entgegen, die es gleich auch als CD zu erwerben gibt. Das Gelände ist sehr weitläufig und die Statuen sind bewusst künstlerisch angeordnet. Leider fehlen Erläuterungen zu den einzelnen Denkmälern, die man nur im Rahmen einer geführten Tour erzählt bekommt. Immerhin gibt es aber gegenüber des Parkgeländes eine Holzbarracke, die den allgemeinen historischen Hintergrund zum ungarischen Sozialismus liefert und seltenes Filmmaterial zur Ausbildung von Spionen für den damaligen Geheimdienst zeigt.

Wieder zurück in der Stadt stapfte ich nach einem deftigen Mittagessen am Fuße des Burgbergs den selbigen nach oben und konnte erneut einen tollen Panoramablick auf Budapest genießen. Auch hier stapelten sich mal wieder die Touristen und ich war froh nicht von einem Selfiestick erschlagen worden zu sein. 😉 Wieder unten begab ich mich zum Rudas-Bad, einer türkischen Therme am Fuße des Burgbergs. Schon in der Eingangshalle hatte sich eine lange Schlange gebildet, doch konnte ich relativ schnell reingehen und nach einigem Warten eine Umkleidekabine ergattern. Als ich schließlich die Halle mit den fünf Becken mit unterschiedlich warmem bzw. heißem Wasser (zwischen 28°C und 42°C) betrat, hätte ich am liebsten gleich wieder auf dem Absatz kehrtgemacht. In den Becken tummelten sich so viele Menschen, dass ich gar nicht wusste, wie ich da noch einen Platz finden sollte. Naja, irgendwie ging es dann doch und ich konnte mir erst einmal den schönen Kuppelbau ansehen und vor allem Leute beobachten. Entspannend war die Sache allerdings kaum, wozu auch der hohe Lautstärkepegel beitrug, der durch das Echo des Stimmengewirrs an den Hammamwänden entstand. Nach 45 Minuten verließ ich das Bad wieder und nahm mir fest vor beim nächsten Besuch NICHT zu Ostern zu kommen und das Komplettpaket zu buchen, bei dem man nämlich auch Zugang zur Dachterrasse hat.

Den Abend verbrachte ich im kleinen Programmkino direkt unten neben meinem Hostel. Ich hatte keine Ahnung worum es in dem ungarischen Film „Testről és lélekről“ mit englischen Untertiteln gehen würde, den ich mir spontan ausgesucht hatte. Wie ich dann jedoch im Laufe des Films feststellte, handelte es sich um „On Body and Soul„, der dieses Jahr den Goldenen Bären auf der Berlinale gewonnen hatte! Ein sehr lohnenswerter Film!

Meinen letzten Tag in Budapest erkundete ich die Gegend rund um das beeindruckende Parlamentsgebäude und verbrachte ein paar Stunden in den Ausstellungsräumen des Ethnografischen Museums, ein pompöses Gebäude, das im ehemaligen Justizpalast untergebracht ist. Von dort aus lief ich rüber auf die Margareteninsel, auf der im Sommer immer das Sziget-Festival stattfindet. Momentan war der Inselpark allerdings eine einzige Baustelle und ein Großteil der Wege aufgerissen oder abgesperrt. Natürlich durfte am letzten Tag ein Besuch einer traditionellen Konditorei nicht fehlen, wobei es mir echt schwer viel unter den vielen süßen Köstlichkeiten das passende Tortenstück auszusuchen.

Auf dem Weg von der Konditorei aus gen Süden kam ich an einem großen Platz, dem Szabadság tér, vorbei, wo sich zum Einen das indisch aussehende Gebäude der öffentlich-rechtlichen ungarischen Fernsehanstalt befand und zum Anderen ein merkwürdiges Denkmal, das „German occupation memorial“. Das Denkmal zeigt einen Greifvogel (deutschen Adler?), der den Erzengel Gabriel (Symbol für Ungarn) angreift und soll den Opfern der nationalsozialistischen Besetzung Ungarns gedenken. Allerdings werfen Kritiker dem Denkmal vor, einseitig zu sein und nicht zu berücksichtigen, dass es auf ungarischer Seite auch viele Kollaborateure gegeben hat und Antisemitismus bereits vor dem Einmarsch der Deutschen weit verbreitet gewesen war. So kommt es, dass vor diesem Denkmal viele Gegner persönliche Erinnerungsgegenstände und Fotos aus dieser Zeit angebracht und ihre Version der Geschichte aufgeschrieben haben. Sie sehen das Denkmal als einen Ort der Geschichtsverfälschung durch die rechtskonservative Regierung unter Viktor Orbán. Überall in der Stadt konnte ich zudem immer wieder Banner sehen, auf denen „I stand with CEU“, also „Ich halte zur CEU“, stand. CEU ist die Abkürzung für die „Central European University“, eine US-amerikanische Privatuniversität in Budapest, an der nur auf Englisch unterrichtet wird. Die ungarische Regierung hat vor Kurzem ein neues Gesetz verabschiedet, mit dem ausländische Unis in Ungarn strikteren Auflagen folgen sollen und womöglich sogar geschlossen werden können. Dagegen hat sich bereits seit einigen Wochen immer wieder Widerstand in Form von Demonstrationen gebildet und auch als ich an einem der Abende im Hostel saß, konnte ich einen Demonstrationszug mit EU-Fahnen, Trillerpfeifenkonzert und lauter Musik vorbeiziehen sehen:

 

Am Abend von Ostermontag stieg ich schließlich wieder in den Nachtzug zurück nach Berlin. Zunächst schien ich Glück mit meinen Mitreisenden zu haben, jungen Ungarn, die in Deutschland studierten oder arbeiteten, bis dann ein recht unfreundliches Pärchen und ein redseliger Pole auftauchten, die aber alle zum Glück schon in Tschechien wieder ausstiegen. So konnte ich den Rest der Fahrt halbwegs schlafend hinter mich bringen.

Ostern in Budapest. Tag 1: Jüdisches Hipsterviertel, Heldenplatz und Stadtwäldchen

„Nie wieder Nachtzug im Sitzabteil!“ dachte ich mir nachdem ich nach fast zwölfstündiger Fahrt von Berlin nach Budapest angekommen war. Okay, dass eine Nacht auf dem Sitzplatz mit wenig komfortabler Schlafposition auf mich zukommt, hatte ich ja vorher gewusst. Aber dass  genau mir gegenüber ein quasselstrippiger ungarischer Herr Platz nehmen sollte, das konnte ich vorher leider nicht ahnen. Erst laberte er seine Sitznachbarin auf Deutsch zu, obwohl sie sich einfach nur in ihr Buch vertiefen wollte. Ich hatte das Gefühl, dass er sich nur mit ihr unterhielt, um sich wichtig zu machen und einen belehrenden, besserwisserischen Tonfall an den Tag zu legen.  Ein typischer Fall von „Mansplaining“ dachte ich noch, doch dann schwenkte der redselige Herr auf Ungarisch auf ein Gespräch mit meinem Sitznachbarn um. Sie unterhielten sich wirklich OHNE Pause bis etwa Mitternacht, dann war bis morgens gegen 7 Uhr endlich Ruhe im Abteil, doch direkt nach dem Aufwachen ging das Gequassel wie auf Knopfdruck ohne Punkt und Komma weiter. Unglaublich wie man so viel reden kann! Gottseidank verstand ich nichts und war froh gegen 8.30 Uhr endlich aussteigen und zu meinem Hostel fahren zu können. Auf dem Weg dorthin lernte ich gleich Budapests U-Bahn kennen, insbesondere die Linie M1, die, 1896 eröffnet, als älteste U-Bahnlinie des europäischen Festlandes gilt. Die kleinen Waggons und die kachel- und holzverzierten Ministationen sahen echt urig aus – ich fragte mich nur, wie es kapazitätsmäßig in Stoßzeiten unter der Woche aussehen muss… Am Osterwochenende waren gefühlt fast nur Touristen in der Stadt unterwegs und die Budapester wohl mehrheitlich auf’s Land gefahren.

Erster Anlaufpunkt meines ersten Tages in der ungarischen Hauptstadt war das jüdische Hipsterviertel. Hier steht die nach der Synagoge in New York weltweit zweitgrößte Synagoge. Ein beeindruckendes, schönes Ziegelbauwerk, dass mit seinen maurischen Stilelementen an die Synagoge in Berlin in der Oranienburgerstraße erinnert. Um die Synagoge herum: Typisches Hipsterviertel so wie es mittlerweile in jeder größeren europäischen Stadt existiert mit kleinen Cafés, Kneipen und Läden, von denen die meisten an diesem Karfreitag allerdings geschlossen waren. Die Dichte an hippen israelischen Falafelimbissen und weiterem „jüdischen“ Essen erinnerte mich sehr an das gentrifizierte jüdische Viertel in Krakau, das ich Anfang des Jahres besucht hatte. Irgendwie geht mir diese vereinheitliche Hipsterkultur schon echt auf die Nerven und auch auf dem Flohmarkt, über den ich durch einige Hinterhöfe hindurchschlenderte unterschied sich mit seinem Stoffbeutel- und Ohrringeangebot kaum von Berliner Flohmärkten.

Nach einem Zwischenstop im prunkvollen „Café New York“, einem der traditionellen Kaffeehäuser Budapests, das allerdings extrem überteuert war,  lief ich weiter Richtung Donau. Auf dem Weg dahin konnte ich mir die beeindruckenden und architektonisch sehr interessanten Häuserfassaden etwas genauer ansehen – in dieser Hinsicht erinnert mich Budapest sehr stark an Paris und einige der Jugendstilbauten sogar an Helsinki mit seinen Bauten im Stil der Nationalromantik. In Ungarn hatte sich mit dem „Szecesszió“ ein ganz eigener Stil des Jugendstils herausgebildet, der insbesondere historische Figuren und Szenen sowie orientalische Elemente in die Architektur einband. Fast an jeder Ecke konnte einen ein ungewöhnliches Bauwerk überraschen!

Am Nachmittag machte ich mich zum Stadtwäldchen auf, ein großer Park nordöstlich des Zentrums gelegen, dessen Eingang vom riesigen Heldenplatz flankiert wird, auf dem sich die Touristenmassen tummelten. Im Park selbst konnte man dem recht kalten und windigen Osterwetter trotzen und noch ein paar Sonnenstrahlen abbekommen. Ich lief einmal um Europas größte Therme (ja, Budapest hat schon viele Superlative zu bieten!), das Széchenyi-Bad, herum, entschied mich aber nicht hineinzugehen, sondern an einem der kommenden Tage eine der türkischen Therme der Stadt auszuprobieren. Türkische Therme? Ja, ganz richtig! Budapest war von 1541 bis 1686 von den Osmanen besetzt gewesen und diese wussten sich die Thermalquellen der Stadt zu Nutze zu machen, in dem sie öffentliche Bäder bauten, die teilweise bis heute in Betrieb sind.

Ich beschloss den Tag, in dem ich noch zwei im Reiseführer erwähnte Jugendstilbauten in der Nähe des Stadtwäldchens, die ehemalige staatliche Blindenanstalt und das Geologische Institut, abklapperte, und in einem günstigen Restaurant frittierte Champignons und Suppe mit Mehlklößen mampfte. Lecker!

Krakau. Interkontinentales Silvestertreffen bei Bigos und Pierogi

Was mache ich zu Silvester? Die alljährliche Preisfrage zum Ende des Jahres rückte näher. So traf es sich gut, dass Maki, eine japanische Freundin, die ich noch aus Sansibar kannte, auf den „Kontinent“, wohlgemerkt den europäischen Kontinent, kommen wollte. Sie arbeitet nämlich derzeit in Nairobi, Kenia, und brauchte etwas Erholung von der dortigen Tätigkeit und Kultur. Mit von der Partie war Makis Freund, Matt, aus Großbritannien. Unsere kleine, aber feine interkontinentale Reisegruppe traf sich also in Krakau, wo wir per AirBnB eine original sozialistisch angehauchte Plattenbauwohnung in einem Krakauer Außenbezirk gebucht hatten. Die Wiedersehensfreude am Morgen des 28. Dezembers war groß – hatten wir uns doch drei Jahre lang nicht mehr gesehen. Auch wenn ich von der Nachtbusfahrt von Berlin nach Krakau noch ein bisschen müde war, so wollten wir uns nicht ausruhen und fuhren gleich nach Wieliczka, ca. 10 km südöstlich von Krakau gelegen, wo es ein zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärtes Salzbergwerk zu besichtigen gibt. Draußen wehte ein eisiger Wind und so waren wir froh für über zwei Stunden in den Untergrund abtauchen zu können, wo es deutlich wärmer war. Im Rahmen einer Führung kamen wir an Salzdenkmälern, Figuren und Gerätschaften, die den Bergbau in früheren Jahrhunderten zeigten, grünlich schimmernden Seen und als Highlight an einer riesigen Halle vorbei, die als Kapelle genutzt wurde. Und das alles unter Tage – Wahnsinn! Natürlich durfte auf der Hälfte der Strecke auch die Shopping“straße“ mit allen möglichen Salzprodukten nicht fehlen. 😉 Nach über zwei Stunden Führung waren wir langsam ausgehungert und so blieben wir im Restaurant – natürlich ebenso unter Tage gelegen – hängen. Die erste Begegnung mit polnischem Essen stand an und so bestellte ich mir das deftige polnische Nationalgericht Bigos, Sauerkraut mit verschiedenen Fleisch- und Wurstsorten geschmort. Lecker!

Auch den zweiten Tag in Krakau verbrachten wir eher untypisch in einem östlichen Außenbezirk, dem Arbeiterstadtteil Nowa Huta. Dieser Bezirk war 1949 ursprünglich als eigene Stadt gegründet worden, um den Arbeitern der dort angesiedelten Stahlindustrie eine Wohnstätte zu bieten.  Nowa Huta war als sozialistische Planstadt angelegt worden, soll heißen, dass von einem zentralen Platz alle Straßen sternförmig (bei Nowa Huta halbsternförmig) abgehen. Typisch sind zudem langgestreckte, dunkelgraue Häuserzeilen mit Arkaden, die mich streckenweise an die Architektur der Karl-Marx-Allee in Berlin erinnerte.  Nun ja, hübsch ist was anderes und das grieselgraue Dezemberwetter verstärkte eher noch den tristen Gesamteindruck. Erste Station war das „Museum Polens unter kommunistischer Herrschaft“ (Muzeum PRL-u) mit einer Ausstellung zu kommunistischen Regimen in Europa. Außerdem konnte man den eisekalten Bunker im Keller besichtigen. Das war echt ein bisschen gruselig zumal einen in den einzelnen Räumen Figuren mit Gasmaske erwarteten…

Hungrig vom Museumsbesuch landeten wir in einer typischen polnischen „Milchbar“, die eigentlich eher eine Art Kantine darstellt, in der es unschlagbar günstiges, weil staatlich subventioniertes Essen gibt. Wäre da nicht die Sprachbarriere gewesen… Es dauerte ewig bis wir auf der Speisekarte einigermaßen verstanden hatten, was es im Angebot gab, aber dann musste man sich den Namen des Gerichts auch noch irgendwie merken und vor allem halbwegs richtig aussprechen, damit die Dame an der Essensausgabe wusste, was man will. Ich bestellte der Einfachheit halber Borschtsch und Pierogi, war dann allerdings wieder völlig hilflos als die Dame mich irgendetwas auf Polnisch zu diesem Essen fragte und schließlich, weil ich nur Bahnhof verstand, mit einem Teller und zwei aufgeschnittenen Pierogi zurückkam. Nun war es klar – sie wollte wissen, ob ich Fleisch- oder Kartoffelfüllung haben wollte. Oh man, ich nahm mir vor, gleich diese Vokabeln nachzuschlagen und war froh, dass die Frau so geduldig mit mir gewesen war. In einer anderen Milchbar standen wir an einem anderen Tag vor demselben Verständigungsproblem bis die Frau an der Ausgabe eine Essenskarte auf Englisch aus der Schublade zauberte.  Unsere Rettung! In den Touristenrestaurants hatte man natürlich keinerlei Verständigungsprobleme, zahlte dafür aber auch entsprechend mehr. Und irgendwie war das Essenbestellen und -ausprobieren (in einer Milchbar) schon lange nicht mehr so lustig gewesen!

Nach einem Spaziergang in Nowa Huta kamen wir am Abend durchgefroren endlich ins historische Zentrum von Krakau und landeten gleich erst einmal im nächstbesten Café um uns mit Tee und Kaffee aufzuwärmen. Was wir abends bereits schön angeleuchtet sehen konnten, sollten wir am nächsten Morgen in strahlendem Sonnenschein erleben: den riesigen Hauptmarkt (Rynek Główny) mit Tuchhallen, Marienkirche und Rathausturm umrahmt von schön hergerichteten Renaissance- und Gotikhäusern. Mitten auf dem Platz gab es immer noch einen Weihnachtsmarkt und hier tummelten sich schließlich alle Touristen, von denen wir ins Nowa Huta gerade einmal eine Handvoll gesehen hatten. Maki und ich (Matt hatte sich ins Luftfahrtmuseum abgesetzt) statteten dem Wahrzeichen Krakaus, der Marienkirche einen Besuch ab und hatten Glück: Gerade als wir drin waren, wurde der riesige Flügelaltar geöffnet und gerade als wir auf dem Turm der Kirche waren, spielte der so genannte Türmer ein kurzes Triumphlied („Hejnał“) auf seiner Trompete zu den in alle vier Himmelsrichtungen abgehenden Fenstern hinaus.

Am nächsten Tag, Silvester, begaben wir uns früh zur ehemaligen Emaillefabrik von Oskar Schindler, in der sich heute ein Museum zur Zeit Krakaus unter der Naziherrschaft 1939-1945 befindet. Das Museum war superinteressant und sehr gut gemacht, aber leider hatten viel zu viele Leute dieselbe Idee wie wir gehabt dieses Museum zu besichtigen und so war es einfach unerträglich voll und stickig. Neben den Einzelbesuchern wurden zu allem Übel auch noch riesige geführte Truppen durch die engen Gänge des Museums geschleust und machten es schwer für mich, mich auf die Ausstellungstexte zu konzentrieren. Als wir am Frühnachmittag aus dem Museum rausgingen, sahen wir allerdings dass wir noch Glück gehabt hatten, da die Leute nun bis draußen Schlange standen. Wir besichtigten noch die Adlersapotheke im ehemaligen jüdischen Ghetto und fuhren dann hinüber in die Altstadt.

Den Abend ließen wir auf dem Burgberg Krakaus, dem Wawel, ausklingen. Nach einem silvesterlichen Pizzaessen bei unserer Unterkunft in der Nähe fuhren Maki und ich erneut ins Stadtzentrum, um uns das Feuerwerk am Hauptmarkt anzuschauen. Dieses sollte, wie die Veranstalter ankündigten, „tierfreundlich“ sein, d. h. auf Knaller verzichten, was mir auch sehr entgegen kam – also auch ein „Conny-freundliches“ Feuerwerk sozusagen. 😉 Nach dem mitternächtlichen Farb- und Raketenspektakel war aber auch ganz schnell „Schicht im Schacht“ – die Leute brachen keine Viertelstunde später auf und verließen den Hauptmarkt größtenteils Richtung nach Hause. Alles verlief erstaunlich ruhig und gesittet, ja fast langweilig. Nur in unserem Außenbezirk wurde ordentlich geknallt, so dass das Echo der Böller zwischen den Plattenbauwänden durch die Nacht dröhnte.

Am Sonntag, dem ersten Tag des neuen Jahres, aber auch meinem letzten Reisetag, krachselten wir auf einen im Süden der Stadt gelegenen Hügel hinauf und hatten einen mehr oder weniger weiten Blick über Krakau. Leider weist die Stadt eine sehr hohe Luftverschmutzung auf, so dass der Smog das Stadtzentrum nur schemenhaft erkennen ließ. Vom Hügel aus liefen wir über die Weichsel hinüber ins jüdische Viertel Kazimierz. Zum Einen stehen hier noch zahlreiche alte Synagogen, zum Anderen hat hier das moderne Hippstertum Einzug gehalten: Stylische Cafés und Restaurants mit vorwiegend israelischer Nahostküche à la Hummus & Co., bröckelnde, mit Streetart versehene Häuserfassaden, kleine nette Schnick-Schnack-Läden, etc.

Ich hätte es nie gedacht, aber die fünf Tage in Krakau waren wie im Flug vergangen und wir hätten auf jeden Fall noch einige weitere Tage benötigt, um alle Sehenswürdigkeiten der Stadt abzuklappern. Naja, das nächste Mal dann vielleicht im Sommer! 😉

Freiwilligendienst statt Pauschalurlaub – mein Artikel auf der Berliner Bürgerplattform „Integritude“

Unter diesem Link findet ihr einen Artikel zu meinen Eindrücken aus den ersten Wochen Leben und Arbeiten in der DomRep: http://integritude.org/chronik/article/43/Freiwilligendienst-statt-Pauschalurlaub—Ein-Jahr-in-der-Dominikanischen-Republik

Die Berliner Bürgerplattform Integritude, auf der der Artikel veröffentlicht worden ist, ist in den Bereichen Integration, politische Bildung und Entwicklungszusammenarbeit tätig, gibt eine Zeitschrift, den „Kiezboten“ heraus und organisiert Workshops. Danke an Narcisse für die Vermittlung! 🙂

Berlin@Night

Mit einiger Verspätung gibt es an dieser Stelle noch ein paar Fotos von der Berlinale, die ich diesen Februar einige Male besuchte. Ich durfte sogar zweimal einen Wettbewerbsfilm im Berlinale-Palast schauen, da wir von Arbeit aus Freikarten erhalten hatten 🙂 Einer dieser Filme war sehr gut („La voie de l’ennemie“ von Rachid Bouchareb), der andere hat mir überhaupt nicht gefallen („Aloft“ von Claudia Llosa); also gut, dass ich dafür nicht hatte bezahlen müssen 😉 Ein sehr interessanter Film war „Through a Lense darkly“ von Thomas Allen Harris über die Geschichte der Fotografie aus afroamerikanischer Sicht. Unbedingt anschauen, wenn er in einem kleinen Programmkino laufen sollte!

 

ArTiNbErLiN

Da Bilder mehr als tausend Worte sagen, gibt es hier an dieser Stelle ein paar Eindrücke aus dem Kultur-/Streetart- und Nachtleben Berlins: