Seit anderthalb Wochen sind alle Muslime nun in den Fastenmonat Ramadan gestartet und hier in Marokko geht dieser natürlich auch nicht spurlos an mir vorüber. Zunächst zur Klärung, weil diese Frage immer wieder auftaucht: Muslime essen UND trinken von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang NICHTS und NEIN, ich habe keine Ahnung, wie sie das einen ganzen Monat lang schaffen, ohne regelmäßig wegen eines Kreislaufkollers zusammenzuklappen. Muss wohl einfach Gewohnheit sein, die man vom jugendlichen Alter an trainiert. Zwei Freundinnen von mir in Rabat, eine Deutsche und eine Dänin, haben die ersten drei Tage mitgefastet und waren danach fix und fertig. Gerade gegen Abend hin konnte Viktoria, die Dänin, kaum noch laufen und Katharina, die Deutsche, erzählte mir, dass sie schon beim Sehen einer Fernsehwerbung von Coca Cola Halluzinationen bekam und meinte, die erfrischende Cola im Mund schmecken zu können. Ich frage mich echt, wie gerade gegen Abend, wenn das Fastenbrechenessen „Ftour“ bei Sonnenuntergang immer näher rückt, immer so viele Leute Sport machen. Auch zum Aerobickurs, wo ich zweimal die Woche hingehe, kommen weiterhin alle Frauen, aber man merkt schon, dass ihre Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt ist und – welch ein Segen – die Trainerin auch nicht mehr so viel Energie hat, ihre Anweisungen zu schreien.
Im alltäglichen Straßenbild merkt man v. a. an den tagsüber geschlossenen Cafés und Restaurants, dass Ramadan ist. Das ist nix mit sich mal schnell ein Sandwich oder einen Saft um die Ecke kaufen – alles macht erst nach Sonnenuntergang wieder auf. Aber immerhin haben alle kleinen Lebensmittelgeschäfte und Supermärkte auf, so dass man sich zumindest für zu Hause essen kaufen kann. In der Öffentlichkeit faste ich nun zwangsweise immer mit, indem ich nichts mehr draußen trinke oder esse und auch während des Arabischunterrichts versuche, nicht vor meiner fastenden Lehrerin zu essen oder zu trinken. Das ist für mich, die eigentlich immer gern einen Schluck aus der Wasserflasche nimmt, etwas anstrengend und gerade nach dem Aerobickurs und beim Weg zur Sprachschule (je 45 min. hin und zurück) nicht einfach, aber man gewöhnt sich daran. Klar, ich könnte auch naiv auf den „Ausländerbonus“ setzen und öffentlich essen und trinken, aber ich will eigentlich jegliche verärgerte Reaktion der Marokkaner vermeiden. In der Straßenbahn ist es übrigens auch deutlich ruhiger als sonst, da kaum noch jemand telefoniert und alle versuchen so wenig wie möglich zu reden.
Es ist interessant, dass der Ramadan in Marokko Umfragen zufolge von über 90 % der Bevölkerung begangen wird. Hier gibt es eben keine christliche Minderheit wie damals als ich zum Ramadan in Damaskus, Syrien, war, wo das alles etwas entspannter ablief. Man bekam überall in den Restaurants und Imbissständen Snacks verkauft und konnte im christlichen Viertel ohne Probleme öffentlich essen und trinken. Im Straßenbild aber ähneln sich der syrische und der marokkanische Ramadan: es sieht aus wie Weihnachten mit der Sternen-, Glitzer- und Lichtdeko überall. Ich würde das Begehen des Ramadans hier in Marokko tatsächlich auch mit unserem Weihnachten vergleichen, das man mehr aus kulturellen denn aus religiösen Gründen begeht. So wie viele Leute bei uns nur zu Weihnachten in die Kirche gehen, kramen hier im Ramadan viele den Koran hervor und lesen darin (dann allerdings täglich). Es gibt v. a. aber auch in Casa genug andere, die nach dem Fastenbrechen schon wieder einen Joint rauchen und Alkohol trinken (eigentlich während des ganzen Ramadans verboten). Die Alkoholstellen im Supermarkt sind, wie ich ja bereits geschrieben hatte, geschlossen, wurden aber vor dem offiziellen Ramadanbeginn noch ordentlich leergekauft. Und das waren nicht nur die hier lebenden Ausländer… Ansonsten kommt man gerade nur in wenigen Läden unter der Hand an Alkohol, wo man dann ins Hinterzimmer geführt wird und über einen guten Preis verhandeln muss.
Im Ramadan fangen die meisten Leute etwas später an zu arbeiten, meist gegen 10 Uhr, und fahren dann nachmittags nach Hause (Achtung, Verkehrschaos mit hohem Aggressivitätsfaktor!), um bis zum Sonnenuntergang zu schlafen bzw. vorher noch einzukaufen. Alles dreht sich nur ums Essen in dieser Zeit. Wenn man zur Zeit des Sonnenuntergangs raus geht, sind die Straßen wie leergefegt und hier in Rabat konnte ich tatsächlich mitten auf einer großen Hauptverkehrsstraße entlanglaufen ohne ein Auto anzutreffen. Die Straßenbahnen halten während dieser Zeit auch an, damit die Fahrer essen und trinken können und die Fahrpläne sind gerade in eine Zeit vor und eine Zeit nach dem „Ftour“ getacktet.
Das Fasten wird mit dem Abendgebet mit einer Dattel gebrochen; zudem gibt es eine nahrhafte Suppe, „Harira“, und dieselben fettigen Teigspezialitäten (Msemmen, Bghrir, etc) wie zum Frühstück, sowie die honiggetränkte und sesambestreute Süßigkeit Shbakiya. Das ist ein großer Unterschied zu Syrien, wo immer die herzhafte Vorspeisenpalette (Mutabal) zum „Iftar“, so heißt das Fastenbrechen auf Hocharabisch, aufgefahren wurde. Ich war letzten Montag mit ein paar Freunden aus Rabat im Restaurant zum Ftour. Das Essen war zwar sehr lecker, lag mir aber wegen seines hohen Fettgehalts noch am nächsten Morgen wie ein Stein im Magen. Und das dann jeden Abend und womöglich noch einmal gegen 4 Uhr in der Frühe, um noch das letzte Mal vor Sonnenaufgang zu essen? Unvorstellbar für mich! Und vor allem ungesund… Im staatlichen Radio wird auch fast jeden Tag über das Essen während des Ramadans diskutiert, soweit ich das mit meinen Arabischkenntnissen verstehen kann, geht es dabei v. a. um gesundheitliche Aspekte.
Tja, und ein Aspekt macht den Ramadan dann insbesondere für mich als Ausländerin sehr angenehm: man wird nicht mehr von Männern auf der Straße angequatscht und kann auch abends ohne Probleme allein in der Dunkelheit umherstiefeln, weil dann nämlich alle unterwegs sind und ihre Einkäufe machen. Die Nacht wird zum Tag gemacht – ich mag diese ausgelassene, fast festliche Stimmung nach dem Ftour sehr gerne und erinnere mich noch an Syrien, wo der Souk bis 2 Uhr nachts rammelvoll mit Menschen war.
Letztendlich ist alles halb so wild und ich werde auch die restlichen Ramadanwochen bis 21. oder 22. August ohne Probleme überstehen. In diesem Sinne: Mbruk Ramadan (auf Darija) bzw. Ramadan Karim (auf Hocharabisch)! – Glückwunsch zum Ramadan!
P.S.: Bei den Zimtschnecken auf dem Foto oben handelt es sich übrigens nicht um eine Ramadanspezialität, sondern ein dänisches Backwerk, das es zum Abschied zweier dänischer Freunde letzte Woche in Rabat gab.