Weiterhin Spenden benötigt, 2. Bericht und mein Zwischenfazit zur dominikanischen Kultur

Nachdem ich im Dezember 2015 den ersten Bericht über mein Freiwilligenjahr für meine deutsche Entsendeorganisation ecoselva verfasst habe, ist nun auch der zweite Bericht fertig. Unter folgenden Links könnt ihr beide Berichte lesen:

Erster Bericht

Zweiter Bericht

An dieser Stelle möchte ich erneut auf die noch immer laufende Crowdfunding-Kampagne für meine Entsendeorganisation ecoselva hinweisen. Jede noch so kleine Spende ist willkommen!

betterplace-Seite mit Spende-Button „1 Kaffee weniger, 1 Spende mehr“

Facebook-Seite „1 Kaffee weniger, 1 Spende mehr“

Zudem möchte ich an dieser Stelle einen Auszug aus meinem zweiten Bericht, nämlich mein bisheriges Zwischenfazit zur dominikanischen Kultur, veröffentlichen:

Ich fühle mich nachwievor wohl in der DomRep und finde, dass ich in dem spezifischen Kontext, in dem ich mich gerade befinde (siehe erster Bericht), gut leben kann. Allerdings habe ich für mich feststellen müssen, dass die DomRep auf gar keinen Fall ein Land ist, in dem ich für immer leben wollen würde bzw. für das ich auch kein Jahr verlängert hätte.

Ich habe hier tolle Menschen kennengelernt, habe dominikanische Freunde gefunden und habe eine super Gastfamilie und super Arbeitskollegen. Auf der anderen Seite hat mich die dominikanische Kultur nie im gleichen Maße wie z. B. die tansanische Kultur fasziniert. Es ist keine Kultur, die ich in mein Herz schließen werde, es sind v. a. spezifische Menschen und die Natur die es mir hier angetan haben und die ich nie vergessen werde.

Es gibt in der dominikanischen Kultur einfach Seiten, die mir nicht gefallen:

* der gesellschaftlich akezeptierte hohe Alkoholkonsum

* weit verbreiteter Machismus

* hohe Lautstärke / Lärm (Motorräder; lautes Spielen von Musik ohne Rücksicht auf Nachbarn; ich habe das Gefühl, dass sich die Leute in normalen Gesprächen teilweise „anschreien“; lautes Telefonieren ohne Rücksicht auf andere; lauter, ständig eingeschalteter Fernseher)

* Ansprechen auf der Straße als „Americana“ / „Rubia“ / „Gringa“ und häufig Reduzierung des Weltbilds auf zwei Länder (Dominikanische Republik und USA)

* Fixierung auf Äußerlichkeiten (Haare, Kleidung)

* in meinen Augen übertriebener Nationalstolz

* „Scheinheiligkeit“ in Bezug auf Beziehungen und Sexualität

* ungesunde Ernährung (sehr fettiges und kohlenhydratlastiges Essen, extrem hoher Zuckerkonsum)

* kaum Umweltbewusstsein (Verschwendung von Strom und Wasser; Müll wird in einfach auf die Straße geworfen)

* Handy- und Foto-Obsession

* (politischer) Aktionismus, bei dem meiner Meinung nach oft nicht viel Konkretes rauskommt

Es ist nicht so, dass ich die Kultur schlecht reden möchte oder dass ich mich nicht für sie interessiere, denn ich lese viel über die Geschichte und Kultur und versuche viele Dominikaner dazu auszufragen. Ich weiß, dass die dominikanische Kultur nun einmal so ist wie sie ist und versuche durch Gespräche mit Leuten bzw. Lektüre Erklärungen für die oben genannten Ausprägungen zu finden. Ich will auch nicht sagen, dass die deutsche Kultur besser ist, in keinster Weise. Die oben genannten Aspekte sind einfach Aspekte der dominikanischen Kultur, mit denen ich hier schon leben kann, die mich aber immer auch stören werden solange ich hier lebe, ohne dass ich sie im großen Maße ändern kann.

In Gesprächen mit Dominikanern höre ich als Erklärung für bestimmte kulturelle Phänomene immer wieder eine Kluft zwischen gebildeten und ungebildeten Dominikanern heraus. Ansgesprochen auf das mangelnde Umweltbewusstsein ihrer Mitmenschen sagen meine dominikanischen Gesprächspartner dann meist „Ah, das sind Leute, die keine Bildung haben.“ oder auf die ungesunde Ernährung „Die Leute wissen nicht, was gut ist.“ Sich selbst nehmen meine Gesprächspartner dann (natürlich) als gebildet wahr und versuchen sich durch diese Äußerungen von den Ungebildeten abzugrenzen. Ich habe einmal etwas zum in Lateinamerika stark ausgeprägten Klassendenken gelesen, das sich womöglich in solchen Äußerungen widerspiegelt.

Manche kulturellen Phänomene, die ich hier in der DomRep vorfinde, gab es in Deutschland vor einigen Jahrzehnten auch (z. B. wenig Umweltbewusstsein, konservative Sexualmoral, weit verbreiteter Machismus). So mutet ein Aufenthalt in der DomRep oft, wie es Fernando, ein argentinischer Freund, der seit zehn Jahren auf der Insel lebt, formulierte, wie eine „Zeitreise“ an. Zeitreise ja, aber parallel dazu „moderne“ Phänomene wie der extremen Allpräsenz von Handys.

Für die überall herrschende Lautstärke gibt das Buch „Das Fest des Ziegenbocks“ von Mario Vargas Llosa eine interessante historische Begründung. Die Hauptfigur Urania kehrt Mitte der 90er Jahre nach 35 Jahren Exil in den USA in die Dominikanische Republik nach St. Domingo zurück und macht folgende Beobachtung:

„[…] Im Erdgeschoss des Hotels Jaragua überfällt sie der Lärm, dieses schon vertraute Ambiente aus Stimmen, Motorgeräuschen, voll aufgedrehten Radios, Merengues, Salsas, Danzones und Boleros oder Rock und Rap, die sich vermischen, sich gegenseitig attackieren, sie attackieren mit ihrem schrillen Getöse. Belebtes Chaos, tiefes Bedürfnis eines einstigen Volkes, Uranita, sich zu betäuben, um nicht zu denken und vielleicht nicht einmal zu fühlen. Aber auch Explosion wilden Lebens, das den Wellen der Modernisierung widersteht. Etwas in den Dominikanern klammert sich an diese vorrationale, magische Form: dieses Verlangen nach Lärm. („Nach Lärm, nicht nach Musik.“)

            Sie kann sich nicht erinnern, dass ein derartiger Lärm auf der Straße herrschte, als sie ein kleines Mädchen war und Santo Domingo noch Ciudad Trujillo hieß. Vielleicht gab es ihn nicht; vielleicht war die Stadt vor 35 Jahren stiller und weniger hektisch, als sie nur ein Drittel oder ein Viertel so groß war, als sie provinziell, isoliert, von Angst und Servilität betäubt war und ihre Seele darniederlag in panischer Ehrfurcht vor dem Chef, dem Generalissimus, dem Wohltäter, dem Vater des Neuen Vaterlandes, vor seiner Exzellenz Dr. Rafael Leónidas Trujillo Molina. Heute kommen sämtliche Geräusche des Lebens, Automotoren, Kassetten, CD’s, Radios, Hupen, bellende, knurrende Hunde, menschliche Stimmen in voller Lautstärke daher, auf der höchsten Stufe des stimmlichen, mechanischen, digitalen oder tierischen Lärmpegels (die Hunde bellen lauter, die Vögel piepsen heftiger). Und New York hat des Ruf, laut zu sein! Nie in ihren zehn Jahren in Manhattan haben ihre Ohren etwas gehört, dass sich mit dieser brutalen, misstönenden Symphonie vergleichen ließe, in die sie seit drei Tagen eingetaucht ist. […]“

Vielleicht hängt auch der hohe Alkoholkonsum der Dominikaner mit dem Bedürfnis nach „Betäubung“ zusammen?

Was ich des Weiteren merkwürdig-interessant an der dominikanischen Kultur finde, ist zum Einen das Geschichtsbild und zum Anderen die Medienberichterstattung. Ich überfliege ab und zu die Nachrichten der großen Zeitungen und höre jeden Morgen Nachrichten im Radio. Vor allem wenn man die Nachrichten aus den Zeitungen liest bzw. sich diejenigen anschaut, die bei Facebook verbreitet werden, so könnte man schnell den Eindruck bekommen, dass die ganze Insel nur aus Gewalttaten, Schießereien und Unfällen besteht, was teilweise durch schonungslose, blutige Bilder der Opfer illustriert wird. Im Radio haben viele Nachrichten einen USA-Bezug und scheinen manchmal extrem willkürlich ausgewählt zu sein: Oder warum sollte es einen Dominikaner interessieren, wenn in Berlin-Kreuzberg wegen eines Bombenfunds sämtliche Wohnungen geräumt werden müssen? Warum die Berichterstattung so ist? Dafür habe ich noch keine Erklärung gefunden, könnte mir aber vorstellen, dass das In-den-Vordergrund-Rücken von Gewalttaten aus der US-amerikanischen Medienberichterstattung abgeschaut wurde.

Das dominikanische Geschichtsverständnis ist in meinen Augen widersprüchlich: Zum Einen wird die Nachfahrenschaft von den Spaniern mit dem verehrten Christoph Kolumbus (Oder warum hat er sonst ein Denkmal auf einem der großen Plätze in St. Domingo bekommen?) hervorgehoben, zum Anderen die Taino-Kultur wieder „ausgegraben“, obwohl doch die Ausrottung der Tainos auf Kolumbus‘ Konto geht. Von den Tainos sind nicht mehr allzu viele Fundstücke übrig geblieben und so wirkt vieles, was man in Museen und Souvenirshops im Zusammenhang mit den Tainos sieht, künstlich und irgendwie „konstruiert“. Einzig in vielen geographischen Bezeichnungen (z. B. Jarabacoa, río Guayubin), manchen Vokabeln (z. B. guanábana = Ochsenherzapfel, yagua = Palmenblatt), Esstraditionen (Casave-Brot) und in der Hauseinrichtung (hamaca = Hängematte) ist das Taino-Erbe noch sichtbar.

Was ich an der dominikanischen Mentalität schließlich sehr schätze sind folgende Punkte (auch dies sind wieder allgemeine Formulierungen, die nicht auf alle Dominikaner zutreffen):

* Herzlichkeit

* Offenheit & Zugänglichkeit

* große Hilfsbereitschaft

* Gelassenheit & Entspanntheit

* Gastfreundschaft und ständige Sorge um das Wohlergehen von Gästen

* Flexibilität und Improvisationsvermögen

* Kreativität

* hohe Fehlertoleranz

* Humor und Kommunikationsfreude

* persönliche Angelegenheiten sind wichtiger als Arbeit

* Geduld mit Leuten, die Spanisch lernen

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